So geht das Völkerrecht zugrunde: mit donnerndem Applaus

Allee der Flaggen, die zum Palais des Nations führt, einem Gebäudekomplex, in dem das Büro der Vereinten Nationen in Genf, der europäische Sitz der Vereinten Nationen, untergebracht ist

(Bild: HJBC / Shutterstock.com)

Politiker und Medien bejubeln den völkerrechtswidrigen Angriff Israels auf den Iran. Das schwächt die Position des Westens. Ein Kommentar.

In diesem Jahr hatte der Film "Star Wars 3 – Die Rache der Sith" sein 20. Jubiläum. Wer ihn 2005 im Kino gesehen hat, wird sich vielleicht noch an die Debatten erinnern, die er ausgelöst hat.

Prinzessin Amidala (Padmé) wohnt einer Sitzung des galaktischen Senats bei, bei welcher der Kanzler verkündet, die Republik werde in ein Imperium umgestaltet. Sichtlich geschockt von dem tosenden Beifall der Senatoren spricht sie ihren berühmten Satz: "So geht die Freiheit zugrunde: mit donnerndem Applaus".

Damals wurde diesem Satz eine besondere Bedeutung beigemessen: Die USA hatten zuvor den Irak völkerrechtswidrig überfallen und besetzt. Die Regierung unter George W. Bush hatte auch Gesetze wie den Patriot Act erlassen, welche nicht nur Freiheiten einschränkten, sondern auch die staatliche Überwachung massiv ausweiteten. Von so manchem Kommentator wurde Amidalas Aussage als Anspielung auf die militaristische US-Politik gewertet, was von Regisseur George Lucas aber dementiert wurde.

An einem ähnlichen Punkt sind wir heute ebenfalls angekommen: Das Völkerrecht liegt im Sterben – und von Politikern und Journalisten in Deutschland wird dies beklatscht. Hatte man noch bis vor wenigen Tagen geschworen, das Völkerrecht zu schützen und zur Leitlinie des politischen Handels zu machen, so machte man mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Israel auf den Iran eine Volte: Wer etwa auf das Gewaltverbot in der UN-Charta verweist, wird als Mullah-Freund, als verkommen oder als Idiot bezeichnet und niedergeschrien.

Bundeskanzler Merz beklatscht "Drecksarbeit"

Für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) machen die Israelis nur die "Drecksarbeit" für alle. "Ich kann nur sagen: größten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt hat, die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt hat, das zu machen." Wozu benötigen wir noch die UN-Charta, wenn wir deren Regeln nicht mehr beachten wollen, sobald sie unseren Interessen im Wege stehen?

Einen Beweis dafür, dass der Iran tatsächlich kurz davor steht, Atomwaffen zu bauen, gibt es bislang nicht. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu geht seit rund 30 Jahren mit dieser Behauptung hausieren – und immer standen die Iraner angeblich kurz davor, die Bombe zu bauen. Und auch die 18 US-Geheimdienste bescheinigten dem Iran noch im März, dass er nicht aktiv nach einer Atombombe strebe. Auch hätte die iranische Führung das Atombomben-Programm, das im Jahr 2003 eingestellt wurde, nicht wiederbelebt.

Merz legitimiert damit nicht nur einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, er gibt auch allen anderen Ländern dieser Welt einen Freifahrtschein für Kriege. Gründe lassen sich schließlich immer finden – und ohne Bindung an das Völkerrecht sind sie auch nicht zu verurteilen.

Netanjahus Ziel: Das Gesicht des Nahen Ostens neu gestalten

In der Argumentation wird immer wieder darauf verwiesen, man wolle nur den Iran daran hindern, eine Atombombe zu bauen. Aus israelischer Sicht geht es aber um viel mehr: Netanjahu sagte es in der Vergangenheit oft – und sagte es kürzlich wieder –, das Ziel bestehe darin, das Gesicht des Nahen Ostens komplett neu zu gestalten. Damit erklärte Netanjahu die Region zur Einflusszone Israels, ohne dass ihm widersprochen wurde.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externer Inhalt geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Denken in Einflusszonen? Seit drei Jahren werden die europäischen Länder mit Blick auf die Ukraine nicht müde, zu betonen, dass dieses Denken überholt sei. Schließlich seien alle Länder souverän. Aber im Falle der israelischen Pläne misst man offenbar wieder einmal mit einem anderen Standard.

Julian Reichelt: "Völkerrecht existiert nicht"

Die neue Sicht auf das Völkerrecht bringt der bei Rechtsextremisten beliebte Julian Reichelt zum Ausdruck. Er schreibt auf X (früher: Twitter):

I hate to break it to you, aber: Völkerrecht existiert nicht. Hat es nie, wird es nie. Ist ein vollkommen wertloser Zettel, der schon immer nur Unholde und Diktaturen beschützt hat. Wer mit Völkerrecht argumentiert, ist schlicht nicht besonders schlau.

Julian Reichelt meint, das Völkerrecht gibt es nicht und wer damit argumentiere, sei nicht schlau
(Bild: Screenshot / X)

Wer mit der UN-Charta argumentiert, ist nicht besonders schlau? Der Atomwaffensperrvertrag nur ein wertloser Zettel? Das ist Hybris in reinster Form.

Eva Illouz argumentiert israel-zentriert – Kritikpunkte treffen auch auf USA zu

Im Ton gemäßigter und mit Sicherheit auch intelligenter argumentiert die Soziologin Eva Illouz in der Zeit (18.06.2025). Sie beschreibt den Iran als repressives System – was es auch ist –, das für Israel eine Gefahr sei und die Existenz des jüdischen Staates bedrohe.

Ihre Argumentation leidet aber an einer Schwäche: Sie ist israel-zentriert. Viele der Kritikpunkte ließen sich ohne große Probleme auch auf die USA übertragen. Sie schreibt über den iranischen Staat: "Er überwacht, unterdrückt, foltert, sperrt Menschen ein – und tötet besonders Frauen". Wohl bis auf den letzten Punkt könnte das auch eine Zustandsbeschreibung der USA sein. Nur, dass nicht besonders Frauen getötet werden, sondern weltweit tausende Menschen durch Drohnenangriffe außergerichtlich hingerichtet wurden.

Illouz führt die Aussagen von iranischen Politikern an, die belegen sollen, dass man den Untergang Israels wünsche. Nun, dies soll gar nicht bestritten werden, aber Illouz erwähnt nicht, dass der Hass auch aus einer anderen Quelle genährt wird als Antisemitismus. Viele Iraner werden sich sicherlich noch erinnern können, dass Israel dem Geheimdienst des Schah-Regimes dabei behilflich war, die Iraner brutal zu unterdrücken. Auch wird ausgeblendet, dass Hamas und Hisbollah als Reaktion auf israelischer Besatzung entstanden. Der heutige Hass auf Israel in der Region hat eine Vorgeschichte.

Aber Vernichtungsphantasien, wie sie Illouz ins Feld führt, sind keine Eigenheit der Iraner, sondern könnten – natürlich mit einem anderen Feindbild – ebenso gut aus Washington stammen. Hatte der frühere US-Präsident Ronald Reagan nicht die Sowjetunion zum Bösen der Welt erklärt? Debattierten US-Strategen in den 1990er Jahren nicht darüber, wie man Russland filetieren könnte? Diese Absichten hat man bis heute nicht komplett aufgegeben. Und hat man nicht Nato-Waffen immer näher an die russische Grenze herangetragen, sodass sie in Moskau als existenzielle Bedrohung wahrgenommen werden konnten?

Die aktuelle Debatte leidet nicht nur daran, dass sie moralisch, einseitig und nicht auf der Grundlage des Völkerrechts geführt wird. Sie schwächt auch die westliche Position gegen Russland. Wenn man einem Land vor der Weltöffentlichkeit das Recht auf einen Präventivschlag gegen eine vermutete Bedrohung zubilligt, so kann man es schlecht einem anderen Land vorenthalten, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Und so applaudieren Politiker und Medien – wie bei Star Wars – einer Aggression, deren Folgen sich eines Tages gegen sie selbst richten könnte.