Ukraine-Friedensgespräche im Schatten der Angriffe: Kleine Fortschritte, große Differenzen

Silhouette von Trump und Putin

Ukraine-Krieg: Kleine Fortschritte in Richtung Diplomatie, aber noch kein Ende in Sicht

(Bild: Rokas Tenys/Shutterstock.com)

Spontanes Telefonat zwischen Putin und Trump wegen beidseitiger Eskalation. Friedensverhandlungen mit kleinen Fortschritten. Doch die Lage spitzt sich weiter zu (Leserdebatte).

Am Mittwoch haben der russische Präsident Wladimir Putin und sein US-amerikanischer Kollege Donald Trump telefoniert. Das zentrale Thema des etwa 75-minütigen Gesprächs war die jüngste militärische Eskalation auf beiden Seiten in dem seit mehr als drei Jahren andauernden Russland-Ukraine-Krieg.

In seinem sozialen Mediennetzwerk Truth Social schrieb Trump, dass die Präsidenten den Angriff der Ukraine auf in Russland stationierte Flugzeuge sowie verschiedene andere Angriffe beider Seiten besprachen. Putin habe "sehr deutlich" gesagt, "dass er auf die jüngsten Angriffe auf die Flugplätze reagieren muss", fügte Trump hinzu.

Eskalation vor neuer Gesprächsrunde

Am 1. Juni hatte die Ukraine Anschläge mit FPV-Drohnen auf Flugplätze in den Regionen Murmansk, Irkutsk, Iwanowo, Rjasan und Amur verübt, die auf strategische atomare Bomber abzielten. Während die Angriffe in den Regionen Iwanowo, Rjasan und Amur abgewehrt wurden, gerieten in Irkutsk und Murmansk mehrere Flugzeuge in Brand.

Die Drohnen sind zuvor ins Land geschmuggelt und in Sattelschleppern stationiert worden, von denen aus sie nahe der Militärflughäfen gestartet wurden und so die Luftabwehr umgingen. Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenskyj zufolge habe die Vorbereitung des Angriffs 18 Monate gedauert.

Da dabei hochspezifische Geheimdienstinformationen erforderlich sind, ist davon auszugehen, dass die USA und möglicherweise andere westliche Staaten die Vorbereitung der Operation "Spiderweb" unterstützten und seine Durchführung billigten.

Laut Kreml habe Trump Putin während des Telefonats mitgeteilt, dass die Vereinigten Staaten nichts von den Plänen Kiews gewusst hätten, russische Flugplätze anzugreifen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Keir Starmer sagte dazu gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Tass: "Wir geben niemals Kommentare zu Operationen ab, schon gar nicht zu militärischen Operationen anderer Länder".

Zuvor hatte Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow die USA und Großbritannien, welches die Operation "Spiderweb" positiv aufnahm, aufgefordert, so zu reagieren, dass eine weitere Eskalation verhindert wird.

Der Anschlag fand am Vorabend der zweiten Runde direkter Friedensverhandlungen am 2. Juni in Istanbul statt. Diesen vorausgegangen waren zudem die bisher massivsten Drohnenkämpfe des Konflikts, erhebliche Luftangriffe seitens Russlands auf Objekte der ukrainischen Streitkräfte und der Rüstungsindustrie sowie die Sprengung von Eisenbahngleisen über Personenzüge in den russischen Regionen Brjansk und Kursk. Letztere werden vom Kreml als terroristischer Akt und seitens der Ukrtaine gewertet.

Diametral entgegengesetzte Positionen

Die Eskalation an den Tagen vor dem Treffen in Istanbul zur Wiederaufnahme von Friedensgesprächen hat die Logik des Verhandlungsprozesses jedoch nicht verändert. Beide Seiten überreichten sich bei dem Treffen, das über eine Stunde dauerte, Memoranden, in denen sie ihre Bedingungen für einen dauerhaften Frieden festhielten.

Die Forderungen und Positionen gehen so weit auseinander, dass derzeit auf diplomatischem Wege ein Einigung auf Kompromisse nicht in Sicht ist (Telepolis berichtete). So macht die ukrainische Seite weiterhin einen vollständigen und bedingungslosen Waffenstillstand zur Voraussetzung für Verhandlungen. Die russische Seite knüpft einen solchen jedoch an Bedingungen, die eine Erholung der ukrainischen Streitkräfte zu ihrer Reorganisierung, Mobilisierung sowie Weiterbewaffnung in der Zeit der Feuerpause verhindern soll.

Zudem beansprucht Russland ukrainisches Territorium, welches die Krim, die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie die Regionen Saporischschja und Cherson umfasst und das Kiew nicht bereit ist abzutreten. Die Ukraine dagegen fordert u.a. keine Begrenzung zur Stationierung von Truppen ausländischer Staaten auf dem Gebiet der Ukraine, was Moskau nicht im Geringsten zu akzeptieren bereit ist.

Kleine Fortschritte bei Verhandlungen

Obwohl sich die Erwartungen an die Verhandlungsgespräche nach der beidseitigen militärischen Eskalation gering gestalteten, kam es zumindest zu Einigungen über den Austausch von Gefangenen.

Dieser soll mindestens 1000 Personen umfassen und kann damit die am 16. Mai festgelegte Anzahl von 1000 Kriegsgefangenen übertreffen. Kranke und Schwerverletzte sowie Soldaten unter 25 Jahren sollen nach dem Prinzip "alle gegen alle" ausgetauscht werden. Zudem erklärte die russische Seite, Kiew in der nächsten Woche 6000 Leichen ukrainischer Soldaten zu übergeben, deren Identität bereits festgestellt wurde.

Schließlich besprachen die Delegationen Russlands Vorschlag über eine zwei- bis dreitägige Waffenruhe an bestimmten Abschnitten der Front, um es den Kommandeuren zu ermöglichen, die Leichen ihrer Soldatinnen und Soldaten bergen zu können.

Nachdem das ukrainische Militär versprach, diesen Vorschlag zu prüfen, wandte sich Selenskyj nach den Gesprächen an die Öffentlichkeit, kritisierte den Vorschlag und sagte, dass er die russische Seite für "Idioten" halte, "denn ein Waffenstillstand dient grundsätzlich dazu, dass es keine Toten gibt".

Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, kommentierte diese Aussage als "unangenehm und unglücklich" sowie nicht dem "Verhandlungsgeist" entsprechend. Das Bedürfnis, einen Angehörigen bestatten zu können, vor allem wenn er als verschollen auf dem Schlachtfeld gilt, sollte aus menschlicher Sicht nachvollziehbar sein – unabhängig davon, um welche Seite es sich handelt.

Zukunft weiterer Gespräche fraglich

Während der Gefangenenaustausch einen diplomatischen Kanal zwischen Russland und der Ukraine eröffnet, der tatsächlich funktioniert, sieht es hinsichtlich Kompromissen auf anderen Ebenen alles andere als vielversprechend aus. Derzeit prüfen beide Seiten die Memoranden intern und warten gegenseitig auf eine Reaktion.

Mit der Ankündigung Putins, auf die Anschläge der Ukraine vom 1. Juni zu reagieren, steigt die weitere Eskalationsgefahr. Zudem macht die russische Armee langsam, aber dennoch Stück für Stück Geländegewinne, sodass die Zeit für Russland spielt.

An der Front insgesamt unterlegen, rüsten westliche Staaten die Ukraine weiter auf. So plant Großbritannien die Lieferung von 100.000 Drohnen im Jahr 2025 an die Ukraine, was laut britischem Verteidigungsministerium die zehnfache Anzahl von 2024 sei. Die Nato-Länder haben vor, ihr Verteidigungsausgabenziel erheblich von zwei auf fünf Prozent zu steigern und neue Ausgaben zur Stärkung des ukrainischen Militärs als "verteidigungsbezogene" Ausgaben zu zählen.

Beide Seiten werfen sich daher weiterhin gegenseitig vor, an einem Frieden nicht interessiert zu sein.

So zielten Putin zufolge die jüngsten ukrainischen Angriffe darauf ab, die kürzlich wieder aufgenommenen Friedensverhandlungen zu stören. Kiew greife friedliche Infrastruktureinrichtungen in Russland an und fordere gleichzeitig eine Einstellung der Feindseligkeiten für 30 oder sogar 60 Tage sowie ein Gipfeltreffen: "Wer sollte mit denen verhandeln, die auf Terror setzen?", fragte Putin

Selenskyj wiederum bezeichnete es als sinnlos, "die diplomatischen Treffen in Istanbul auf einem Niveau fortzusetzen, das keine weiteren Lösungen bringt" und bezeichnete die Friedensbedingungen Russlands als "Ultimatum".

Bisher haben sich beide Seiten mit Blick auf die eigene Verhandlungsposition den USA gegenüber zu den Gesprächen veranlasst gesehen. Die weitere Entwicklung bleibt derzeit offen.