Die Themen beim Italienischen Literaturfest MünchenKrieg und Campari

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Italien, Sehnsuchtsland. Für Urlauber, hier eine Aufnahme aus den Sechzigerjahren, gehört Campari als Aperitivo unbedingt dazu. Aber wer kennt schon die Geschichte dieses legendären Bitterlikörs?
Italien, Sehnsuchtsland. Für Urlauber, hier eine Aufnahme aus den Sechzigerjahren, gehört Campari als Aperitivo unbedingt dazu. Aber wer kennt schon die Geschichte dieses legendären Bitterlikörs? (Foto: imago stock&people/imago/serienlicht)

Bestsellerautorin Francesca Melandri tritt beim Festival in Dialog mit ihrem toten Vater und blickt auf dunkle Kapitel der italienischen Geschichte. Silvia Cinelli erzählt eine Familiensaga über die Erfinder des legendären Bitterlikörs.

Von Jutta Czeguhn

Ein blutjunger russischer Soldat, umringt von ukrainischen Frauen. Sie geben dem Kriegsgefangenen Tee und Brot, eine von ihnen drückt ihm ein Telefon in die Hand und befiehlt barsch: „Los, ruf’ Deine Mutter an und sag’ ihr, dass du noch lebst.“ Eine einfache Geste der Menschlichkeit inmitten eines grausamen Krieges. Francesca Melandri musste sich dieses Video im Netz immer wieder ansehen. Denn auch ihr Vater verdankt sein Leben ukrainischen Frauen. Vor mehr als 80 Jahren war er Kommandeur einer sogenannten Alpini-Brigade, schlecht ausgestattete Soldaten mit Pappsohlen an den Füßen, von denen viele bei der „Ritirata di Russia“ – dem Rückzug aus Russland – jämmerlich erfroren. Noch heute pflegt man in Italien diese Opfer- und Heldengeschichte, die Melandri in ihrem Buch „Kalte Füße“  (Wagenbach) gründlich dekonstruiert.

Denn Mussolinis Truppen, sie kämpften damals im Sowjetreich auf dem Boden der Ukraine, in Städten wie Charkiw, wo heute Putins Raketen einschlagen. Was hatten die Italiener dort verloren? „Sag mir, was Krieg ist, Papa, gerade Du, weil Du auf der falschen Seite gestanden hast“, fordert Melandri. Es ist der Versuch eines Zwiegesprächs – mit einem Toten. Ihr Vater, der als Journalist Bücher schrieb über seine Militärzeit, kann ihr nicht mehr antworten.

Eine engagierte Stimme aus Italien: Die römische Schriftstellerin Francesca Melandri, hier bei einem Empfang durch den Bundespräsidenten im Schloss Bellevue.
Eine engagierte Stimme aus Italien: Die römische Schriftstellerin Francesca Melandri, hier bei einem Empfang durch den Bundespräsidenten im Schloss Bellevue. (Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa)

Wie wird Geschichte erzählt? Wer schafft die Narrative, mit welcher Absicht? Was soll erinnert, was verschwiegen, was umgedeutet werden? Darum geht es beim Italienischen Literaturfest München (ILfest) vom 9. bis 11. Mai im Neuhauser Trafo. Ein Diskurs, der in der zeitgenössischen italienischen Literatur aktuell geführt wird, und das nicht erst seit Antonio Scurati, Autor einer Roman-Trilogie über Mussolini, vor einem Jahr im staatlichen Rai-TV eine Rede zum Tag der Befreiung Italiens vom Nazifaschismus halten sollte – und kurzfristig aus dem Programm genommen wurde.

Organisatorin Elisabetta Cavani hat für die inzwischen siebte Ausgabe ihres kleinen Festivals nicht nur Bestsellerautorin Melandri nach München geladen (9.5). Lesen und mit dem Publikum diskutieren wird dort beispielsweise auch Gian Marco Griffi. Auch in seinem Buch „Die Eisenbahnen Mexikos“ (Claassen) geht es um einen Mitläufer im faschistischen Italien, einen von heftigem Zahnschmerz geplagten, der einen absurden, paradoxen Befehl ausführen muss.

Elisabetta Cavani ist die Organisatorin des Italienischen Literaturfestes München, das mittlerweile von einem Verein getragen wird.
Elisabetta Cavani ist die Organisatorin des Italienischen Literaturfestes München, das mittlerweile von einem Verein getragen wird. (Foto: privat)

Nach Triest, in die Stadt am Rande, die Stadt der vielen Sprachen, Ethnien und der Kriege führt „Alma“, der Roman von Frederica Manzon. Eine Familiengeschichte, in der sich die Titelfigur auf die Suche nach ihrer Geschichte begibt. Die Hafenstadt, die einst Teil des Habsburgerreiches war, ist auch ein Zentrum der Literaturen. Nicht zufällig bekommt man dort im Café San Marco nicht nur den besten Kaffee, sondern kann auch in der angeschlossenen Buchhandlung stöberen. Seit Kurzem hat Triest zudem ein neues Literaturmuseum. Roberto Cepach, der Leiter von LETS (Museo Letteratura Trieste) wird es beim ILFest vorstellen und mit dem in München lebenden Regisseur Allessandro Melanzzini ins Gespräch kommen. Der Filmemacher zeigt seine Doku über Italo Svevo, einen der großen Triester Schriftsteller.

Triest, Stadt der Literaten: Eine Bronze-Statue auf der Ponterosso erinnert an den Iren James Joyce, der fast elf Jahre hier lebte.
Triest, Stadt der Literaten: Eine Bronze-Statue auf der Ponterosso erinnert an den Iren James Joyce, der fast elf Jahre hier lebte. (Foto: Imago / Robert Kalbl)

Auch Mailand hat seine Geschichten. Böse Geschichten. Der Autor und Podcaster Stefano Nazzi berichtet in „Canti di guerra. Conflitti, vendette, amori nella Milano degli anni Settanta“ im Stil der True Crime Story von drei der berühmtesten Figuren der Mailänder Unterwelt und zeichnet so ein Sittengemälde der Siebzigerjahre.

Zur Mailänder, nein zur Kulturgeschichte Italiens gehört der Aperitivo in Rot, der berühmteste aller Bitterliköre aus dem Hause Campari. Silvia Cinelli beschreibt in „Bittersüße Träume“ (Goldmann) die Geschichte des wunderbaren Gesöffs als Familiensage. Auch sie wird zum ILfest anreisen

Apropos Gesöff: Zum Charme des Festivals gehört, dass sich die Besucher und auch der ein oder andere Literat nach den Lesungen im Trafo-Café austauschen. Es gibt zudem wieder die beliebten Workshops mit Übersetzerinnen und die Lesungen auf Italienisch für Kinder in der Stadtbibliothek Neuhausen. Neu ist in diesem Jahr der Premio ILfest Giovani, ein Jugendbuchpreis. Eine Leserjury aus Jugendlichen wird eine Auswahl an italienischen Büchern vorstellen und die Gewinnerin auszeichnen: Sara de Martino mit ihrem Buch „Fuga dal Paradiso“.

Nur das Kinder- und Jugendprogramm findet beim ILfest ausschließlich in italienischer Sprache statt, ansonsten steht dem Publikum via Headset nahezu immer eine Liveübersetzung zur Verfügung. Für alle, deren Italienischkurs schon etwas länger zurückliegt, ergibt sich gewiss die Gelegenheit, die Kopfhörer auch mal abzulegen und einfach dieser wunderbaren Sprache zu lauschen. Man wird gewiss mehr verstehen, als gedacht.

ILfest, 9. bis 11. Mai, Trafo Neuhausen, Infos und Karten unter www.ilfest.de, oder an der Abendkasse.

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