Naturerlebnis :
Waldbaden für Profis

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Tosende Natur: Wer will noch ans Meer fahren, wenn er von Wasserfällen   umgeben ist?
Waldbaden im Wortsinn: Auf der bergigen Halbinsel Izu, südwestlich von Tokio, verflüchtigt sich der Stress der Metropole schnell aus dem geplagten Körper.

Dichter Wasserdampf steigt aus dem Loch auf. Eine schmale in den Stein gehauene Treppe führt ins Dunkel hinab. Doch bevor wir das irgendwie gruselig finden können, verschwinden wir lieber schnell im Gestein. Denn hier draußen ist es kalt, wenn man nur eine Badehose trägt. Und unten, das merken wir rasch, ist es muckelig warm. Die Höhle ist niedrig, sodass wir bald im Krebsgang vorankriechen und froh sind, als wir in das kleine Becken hineingleiten können, in das warme, an einigen Stellen heiße Wasser des natürlichen Onsen. Am Ende des dampfenden Teichs ist die Höhle offen. Durch das Loch in den Felsen sehen wir den wilden Bergfluss Kawazu vorbeirauschen, eingesäumt von moosbewachsenen Steinen. Dahinter der tiefgrüne Wald.

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Die heißen Thermalbäder gehören in Japan zum guten Stil. Auch viele Hotels in Tokio bieten ihren Gästen künstliche Onsen an, wie deutsche Hotels eine Sauna. Im 40 Grad und mehr heißen Wasser lässt sich der Alltagsstress rasch aus den Knochen schwitzen. Aber das wahre Onsen-Gefühl kommt natürlich da auf, wo das heiße Wasser direkt aus der Erde kommt, aufgeheizt von den unzähligen Vulkanen, die unter Japan schlummern. Uriger als in dieser Höhle im Wald lässt sich das kaum genießen.

Ein Glücksfund

Nanadaru Onsen war ein Glücksfund. Eigentlich wollten wir an diesem Tag bis in den Strandort Shimoda fahren, wo wir ein abgelegenes Airbnb-Häuschen im Wald gemietet hatten. Die 180 Kilometer von Tokio an die Spitze der Halbinsel Izu soll man normalerweise in drei Stunden mit dem Auto schaffen. Doch nach mehreren Staus und im strömenden Regen dämmerte es schon, als wir noch in den Bergen unterwegs waren.

Die Straßen hatten sich in Bäche verwandelt, die Kinder wurden quengelig, und der Airbnb-Vermieter hatte angekündigt, dass man vom Parkplatz zum Haus noch ein ganzes Stückchen einen steilen Pfad durch den Wald gehen müsse. So beschlossen wir kurzerhand, für eine Nacht in dem kleinen traditionellen Gasthaus, dem Ryokan Nanadaru Onsen, in den Bergen zu bleiben. Auf Google Maps wurde es für seine gemütlichen Zimmer, sein gutes Essen und den Höhlen-Onsen empfohlen. Mit allem hatten die Besucher vor uns recht.

Ganz aus Holz

Schon nach wenigen Minuten in dem Gästezimmer ist die strapaziöse Autofahrt vergessen. Ganz aus Holz und denkbar schlicht eingerichtet, bietet es einen wunderschönen Blick in den saftig grünen Wald. Die Tatami-Matten am Boden verstrahlen ihren warmen Duft von Reisstroh. Bei offenem Fenster können wir einen der sieben Wasserfälle hören, die diesem Tal seinen Namen geben: Nanadaru, die sieben Fälle. Man kann sie alle über einen einfachen Wanderweg in gut einer Stunde ablaufen. Um noch etwas Auslauf vor dem Abendessen zu bekommen, erkunden wir zumindest die ersten zwei von ihnen schon kurz nachdem wir angekommen sind. Zum Glück hat der Regen nun nachgelassen. Es sind kaum zehn Minuten zu laufen, über eine in den Fels geschlagene Treppe kommen wir hinunter zum Fluss Kawazu, wo der Deai Daru über mehrere Stufen 18 Meter in die Tiefe donnert. Die Luft ist hier so frisch und würzig, wie man sie kaum mehr kennt, wenn man in Tokio lebt.

Zurück im Gasthaus, werden wir schon halb besorgt, halb ungeduldig von den Gastwirten erwartet. Wir hätten doch gesagt, wir wollten um sechs Uhr zu Abend essen? Da ist es Viertel vor sechs. Das Essen ist ein Fest. Kein lautes; die Japaner neigen nicht zu Bohei. Aber eines für die Sinne. Als wir in den Speisesaal kommen, steht unser Tisch voller Köstlichkeiten. Eine ganze gebratene Goldbrasse, ein Holzschiffchen bedeckt von Sashimi, gebratene Fischchen, die die Gäste an den anderen Tischen mit Kopf, Gräten und Hochgenuss verspeisen. In einem schwarzen Keramiktopf köchelt eine Brühe aus Gemüse, Pilzen und Fisch. Dazu gibt es leuchtend grüne und erstaunlich fruchtig schmeckende Wasabi-Wurzel zum Selberreiben – die wächst hier auf einer Plantage nebenan. Auch wenn unsere Kinder beim japanischen Essen durchaus experimentierfreudig sind, sind wir ganz froh, dass der Koch ihnen auch Hühnchenteile frittiert hat.

Ab ins heiße Wasser

Bevor wir müde in die Futons fallen, gehen wir noch eine Runde ins heiße Wasser. Außer dem etwas abgelegenen Onsen in der Höhle bietet das Ryokan auch direkt im und am Haus noch mehrere Becken, die mit mächtigen Holzbalken, Bambuszäunen und Natursteinen ebenfalls wie ein Teil des umliegenden Waldes wirken. Die Regeln sind hier wesentlich weniger streng. Normalerweise sind die Onsen für Männer und Frauen streng getrennt. Kleine Kinder dürfen manchmal gar nicht mit hinein. Hier dürfen wir als ganze Familie einen Onsen für uns haben und die Tür abschließen. So können die Kinder auch ihren Spaß haben.

Auch wenn hier niemand guckt, ist natürlich klar, dass die strengen Rituale eingehalten werden, vor allem die gründliche Reinigung, bevor man in das natürliche, ungechlorte Thermalwasser steigt. Wer noch nie in einem Onsen war, kann gerade in Wim Wenders’ wunderbarem Japan-Film „Perfect Days“ sehen, wie das abläuft: Vor allem für ältere Semester ersetzt der Gang in den Onsen tatsächlich das Bad zu Hause. Auf kleinen Plastikschemeln mithilfe von Eimern oder Duschbrausen waschen und schrubben sie sich besonders gründlich, mit Seife und Shampoo, rasieren sich, reinigen sich die Ohren und schneiden sich die Nasenhaare. Erst dann geht es in das heiße Becken, natürlich nackt, in der Hand nur ein kleines Tuch, das während des Bades auf dem Kopf platziert wird.

Wir schlafen in dieser Nacht tiefer als sonst. Es ist so dunkel und ruhig wie nie in Tokio. Und unsere Körper sind bettschwer und glücklich.

Zum Frühstück am nächsten Morgen gibt es dann – wie eigentlich immer in Japan – wieder Fisch und Reis. Doch die Kinder sind ungeduldig, es zieht sie zurück in den verzauberten Wald. Nach dem Regenguss vom Vortag bricht nun die Sonne heraus, der Wald atmet und dampft. Wir wandern die Wasserfallstrecke entlang und hören bald aus der Ferne das Donnern des Shokai Daru, wo sich schon eine kleine japanische Reisegruppe zur Schlange formiert hat, um nacheinander Fotos schießen zu können.

Der Weg geht noch ein ganzes Stück weiter, über Holztreppen und Hängebrücken. Wir müssen uns ein bisschen überwinden, schon wieder umzukehren und an unser eigentliches Ziel weiterzufahren. Aber an die Küste ist es nun gar nicht mehr weit. Als wir mit dem Kawazu-Fluss am Meer ankommen, erwartet uns der Pazifik in leuchtendem Blau. Es wird nicht unser letzter Kurzurlaub auf Izu gewesen sein.

Informationen online unter www.kawazu-onsen.com/eng