"Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" ist der Titel eines Buches des französischen Regisseurs François Truffaut. Erschienen im Jahre 1966, gibt es ein etwa 50-stündiges Interview des Meisterregisseurs mit dem Meisterregisseur wieder. Truffaut, der zudem auch als Filmkritiker tätig war, befragte Alfred Hitchcock damals zu dessen knapp 50 Filmen, seine Mitarbeiterin Helen Scott übersetzte. Das Werk gilt als Klassiker der Filmgeschichte, voller Details, Einsichten und Anekdoten, das alles aus erster Hand.
Javier Cáceres, seit 2002 Journalist bei der "Süddeutschen Zeitung", hatte nicht annähernd soviel Zeit für seine Interviews, zudem gelten Fußballer als Interviewpartner mit zuweilen übersichtlichem Redefluss. Umso erstaunlicher, was Cáceres, 1970 in Santiago de Chile geboren, in seinem kürzlich erschienenen Buch "Tore wie gemalt" zusammengetragen hat.
"Das Tor ist die Herrlichkeit selbst"
Allein das Vorwort der argentinischen Fußball-Legende Jorge Valdano ist ein Genuss. Wie der Weltmeister von 1986 das alles überstrahlende Ziel des Spiels der Spiele beschreibt, so emotional und seligmachend wie ein Siegtreffer in der Nachspielzeit. "Das Tor ist die Herrlichkeit selbst", so resümiert Valdano, und auf den folgenden über 300 Seiten lässt sich das bestens nachfühlen.
In seinem Job als Fußballjournalist ist Javier Cáceres seit Jahrzehnten ganz dicht dran, hat etliche Spieler interviewt. Eines Tages entstand die Idee, sie nicht nur reden zu lassen, sondern sie zum Zeichnen zu bringen. Das Motiv – ihr wichtigstes Tor, frei nach Truffaut: Herr Beckenbauer, Monsieur Platini, Señor Di Stefano, Frau Künzer, Mister Lineker, wie haben Sie das gemacht?
Entstanden ist so ein intensives Zeitdokument, das Momentaufnahmen von den Erzeugern selbst liefert. Wer könnte ein Tor eindrucksvoller beschreiben, als der Schütze selbst? Wenn es dann auch noch eine Zeichnung von ihm selbst dazu gibt, umso schöner. Die stilistische Bandbreite ist erwartungsgemäß weitgefächert.
Carlos Valderramas 2:0 gegen Kolumbien bei der WM 1990 sieht fast so verwuschelt aus wie die Frisur des Kickers selbst. Jimmy Hartwigs Stimme meint man beim 1:0 für den HSV gegen die Bayern (Endstand 2:1) aus der Saison 1983/84 förmlich zu hören: "Hier stand einer. Hier stand einer. Hier stand einer. Hier stand einer. Hier stand Jimmy", dazu die Spieler als Kullerfiguren – großartig.
Jay Jay Okocha lässt Ameisen übers Bild tippeln
Kaiser Franz skizziert es kompakt auf den Punkt, Günther Netzer ebenfalls. Jay Jay Okocha lässt Ameisen übers Bild tippeln und Alfredo di Stéfanos Zeichnung könnte auch die Schulbank eines Teenagers zieren – mal sieht es nach Telefonkritzelei aus, dann nach Taktiktafel, durch die Bank authentisch, auch im schlichtesten Strich.
Seinen Anfang nahm "Tore wie gemalt" bereits im Jahr 2005. Damals saß Javier Cáceres mit Leonel Sánchez zusammen, einem der chilenischen Helden der WM 1962. Der zeichnete ihm an einem denkwürdigen Abend nach ein paar Bieren sein Tor zum 1:0 gegen Russland (Endstand 2:1) auf. Ebenso denkwürdig die Begegnung mit Gerd Müller und die Umstände bei dessen Zeichnung oder die Komplikationen im Fall von Günther Netzer, wie Cáceres im lesenswerten Nachwort erzählt.
Gesammelt hat Cáceres all diese Zeichnungen in einem kleinen Moleskine-Notizbuch, jetzt macht er sie mit diesem lesens- und sehenswerten Buch auch den Fans zugänglich. Von wem das Titelbild stammt, das dem Tor nur dort ein Netz gönnt, wo der Ball hinfliegt? Das soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Ein kleiner Tipp: Der Mann hat vierstellig genetzt. Behauptet man jedenfalls.
"Das Buch ist mehr als ein Buch, es ist ein großer Spaß und ein großes Abenteuer, ein journalistisches Meisterstück", so schrieb der Kritiker Benjamin Henrichs damals in der "Süddeutschen" über Truffauts "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?". Ein Lob, das man direkt an Javier Cáceres weitergeben kann: "Tore wie gemalt" ist ein Buch wie gemalt, ein Kick von der ersten bis zur letzten Seite.