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Mögliche Offensive Netanyahus Verbündete drängen auf Rafah-Angriff – und drohen mit Koalitionsbruch

Innenpolitisch wächst der Druck auf Benjamin Netanyahu, mit der Offensive in Rafah zu beginnen. In der Nacht gab es offenbar einen Luftangriff. Und: Hamas prüft Geiseldeal. Der Überblick.
Israelische Einheiten im südlichen Gazastreifen (am 28. April)

Israelische Einheiten im südlichen Gazastreifen (am 28. April)

Foto: Jim Hollander / UPI Photo / IMAGO

Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi hat nach Militärangaben Pläne zur Fortsetzung des Gazakriegs mit den führenden Offizieren des Südkommandos erörtert und gebilligt. Weitere Einzelheiten wurden nicht genannt. Halevi hatte bereits zuvor weitere Schritte zur Fortsetzung des Gazakriegs genehmigt. Israelische Medien werteten die Entscheidung auch als Billigung der geplanten Offensive in Rafah.

Die USA haben die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wiederholt vor einer groß angelegten Offensive in Rafah gewarnt. Die Stadt an der Grenze zu Ägypten ist mit Hunderttausenden Flüchtlingen überfüllt. US-Präsident Joe Biden habe seinen klaren Standpunkt in einem Gespräch mit Netanyahu bekräftigt, teilte das Weiße Haus am Sonntag mit.

Zugleich wächst innenpolitisch der Druck in die entgegengesetzte Richtung. Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich droht mit einem Koalitionsbruch, sollte ein Militäreinsatz in Rafah zugunsten eines Geiseldeals gestoppt werden. Dies wäre eine »demütigende Kapitulation« und ein »Todesurteil für die Geiseln und unmittelbare existenzielle Gefahr für den Staat Israel«, sagte Smotrich in einer Videobotschaft an Netanyahu.

Der frühere Armeechef und Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz, der Netanyahus Kriegskabinett angehört, erklärte seinerseits, eine Invasion in Rafah sei »wichtig im langen Kampf gegen die Hamas«. Zugleich sei aber die Rückkehr der Geiseln »dringend und von größter Bedeutung«. Wenn die Minister der Regierung die Umsetzung eines »verantwortungsvollen Plans zur Rückkehr der Geiseln, der vom gesamten Verteidigungsapparat unterstützt wird und der nicht das Ende des Krieges bedeutet«, verhinderten, dann »hat die Regierung nicht mehr das Recht weiterzuexistieren«.

Unterdessen sollen bei israelischen Luftangriffen auf drei Häuser in Rafah nach Angaben von Ärzten und Sanitätern 13 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt worden sein. Hamas-Medien berichten von 15 Toten, die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Bei einem Treffen mehrerer Außenminister westlicher und arabischer Staaten in Riad soll an diesem Montag über Bemühungen für eine Waffenruhe im Gazakrieg und die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas gesprochen werden. US-Außenminister Antony Blinken, der auf dem Rückweg eines Besuchs in China nach Saudi-Arabien reist, will nach Darstellung seines Büros mit regionalen Partnern über den Konflikt beraten. Erwartet werden unter anderem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihre Amtskollegen aus Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Ebenfalls am Montag will voraussichtlich eine Delegation der Hamas nach Kairo reisen, um in der ägyptischen Hauptstadt über Details eines neuen Vorschlags für einen Kompromiss mit Israel zu sprechen, wie ein Hamas-Repräsentant sagte. Hoffnungen auf eine Einigung bei den indirekten Verhandlungen zwischen internationalen Vermittlern – Israels Regierung und die Hamas führen aus Prinzip keine direkten Gespräche – haben sich allerdings bisher immer wieder zerschlagen. Der Schwerpunkt der Gespräche war zuletzt aus Katar nach Ägypten verlegt worden.

Hamas will möglichen Geiseldeal prüfen

Ein hochrangiger Hamas-Funktionär kündigte bei Telegram an, die Islamistenorganisation werde einen israelischen Vorschlag prüfen und eine Antwort geben. Israels Regierung erwartet diese nach Angaben des israelischen Fernsehens bis Montag. Außenminister Israel Katz erklärte demnach, Israel sei bereit, den Militäreinsatz in der Stadt Rafah zu verschieben, sollte ein Deal zur Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas zustande kommen.

DER SPIEGEL

Bei dem aktuellen Entwurf für einen Deal geht es israelischen Medien zufolge zunächst um ein begrenztes Abkommen, das erst einmal nur die Freilassung weiblicher, älterer und kranker Geiseln vorsehe. Die Hamas hat zuletzt einen dauerhaften Waffenstillstand gefordert, was Israel ablehnt. Es wird befürchtet, dass von den noch immer im Gazastreifen vermuteten 133 Geiseln inzwischen viele nicht mehr am Leben sind.

Auslöser des Krieges war das Massaker mit rund 1140 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt hatten. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde gab die Zahl der seit Kriegsbeginn getöteten Menschen im Gazastreifen am Sonntag mit 34.454 an. Die von ihr veröffentlichten Zahlen machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Bewaffneten und lassen sich unabhängig kaum überprüfen.

Mehr Hilfslieferungen sollen Gaza erreichen

Israels Armeesprecher Daniel Hagari kündigte am Sonntagabend eine Ausweitung der Hilfslieferungen nach Gaza an. Hierzu sollten unter anderem die Öffnung des israelischen Hafens Aschdod und ein neuer Übergang für humanitäre Transporte im Norden des Gazastreifens beitragen, sagte er am Sonntagabend. Zusammen mit dem US-Militär werde auch an einem vorübergehenden Pier gearbeitet, um Hilfslieferungen von Schiffen an Land bringen zu können. »Es ist eine Top-Priorität, Hilfe zu den Menschen in Gaza zu bringen, denn unser Krieg ist gegen die Hamas, nicht gegen die Menschen in Gaza«, sagte Hagari.

Kritiker werfen Israel seit Monaten vor, Hilfslieferungen gezielt zu behindern und damit eine Verschärfung der humanitären Notlage im Gazastreifen billigend in Kauf zu nehmen. US-Präsident Biden habe in seinem Telefonat mit Netanyahu betont, dass die jüngsten Fortschritte bei den Hilfslieferungen in voller Abstimmung mit den humanitären Organisationen fortgesetzt und verstärkt werden müssten, teilte das Weiße Haus am Sonntag mit.

jok/dpa/AFP