Der Effekt ist einfach, aber spektakulär: Der Ausstellungsraum im Museum Helgoland ist in grünes Licht getaucht, „um die situative Situation beim Tauchen in der Nordsee anschaulich zu machen“, wie Direktor Jürgen Fitschen erklärt: „Das menschliche Auge und das Gehirn stellen sich innerhalb von ein bis zwei Minuten auf die farbliche Umgebung ein.“ Eine Art Zeitreise der anderen Art, weg vom nüchternen Stil, den historische Präsentationen gewöhnlich pflegen.
Besonders deutlich wird die Bedeutung des grünen Lichts am wichtigsten Exponat der Ausstellung „Die letzte Fahrt von UC-71“, dem gut zwei Meter langen Modell des Wracks, wie es etwa hundert Jahre nach seiner Versenkung am 19. Februar 1919 auf dem Meeresgrund etwa 800 Meter südlich von Helgoland liegt. Strahlt weißes Licht die Arbeit des Setdesigners Lars Groeger an, die auf mehr als 30.000 Fotos des tatsächlichen Wracks und einer daraus errechneten digitalen 3D-Visualisierung beruht, dann erkennt man besonders viele Details. Doch erst das grüne Licht gibt dem Diorama seine Eindrücklichkeit.
Zwar steht das Wrack seit 2012 offiziell unter Denkmalschutz, doch nach einem Jahrhundert im Salzwasser beschleunigt sich seine Zersetzung; bald wird nicht mehr viel davon übrig sein. Umso wichtiger, dass es vom Unterwasserarchäologen Florian Huber und seinem Team in den vergangenen zehn Jahren umfassend dokumentiert worden ist. Ergebnis dieser Arbeit ist die Ausstellung in Helgoland.
UC-71, ein U-Boot der Klasse UC-II, war im Ersten Weltkrieg von der Biskaya bis in die Irische See im Einsatz, vor allem aber im Ärmelkanal. Es war 1916 bei der Werft Blohm & Voss in Hamburg gebaut worden. Der Typ UC-II sollte als Minenleger dienen; in seinem Vorschiff waren Schächte für den Abwurf von 18 Minen eingebaut.
Nach der Fertigstellung (übrigens in Serienproduktion) Ende November 1916 wurde UC-71 im März 1917 der U-Flottille Flandern zugeteilt, die an der belgischen Küste des Ärmelkanals von Ostende, Zeebrügge und – etwa zwölf Kilometer landeinwärts, aber mit einem für Seeschiffe geeigneten Kanal verbunden – Brügge aus operierte. Rasch nach der weitgehenden Besetzung Belgiens bis Ende Oktober 1914 entstanden hier Hafenanlagen für U-Boote, darunter die ersten überhaupt bekannten Schutzbunker. „Hunderte deutsche U-Boote starteten von hier aus, um Handels- und Kriegsschiffe aufzubringen oder zu versenken, Häfen durch Minensperren unzugänglich zu machen und so den alliierten Nachschub für die Westfront zu unterbinden“, heißt es in der Ausstellung.
Anderthalb Jahre lang, bis Mitte Oktober 1918, operierte UC-71 von Brügge aus im Atlantik oder vor der englischen, der irischen und der französischen Küste. Auf insgesamt 19 Feindfahrten, also Einsätzen im Kampfgebiet, versenkte das Boot 61 Handels- und sonstige Schiffe des Gegners, insgesamt 110.688 Bruttoregistertonnen Schiffsraum; weitere 17 zivile und ein Kriegsschiff wurden dabei beschädigt.
Unter den 30 erfolgreichsten U-Booten der Kaiserlichen Flotte (von insgesamt mehr als 350) nahm UC-71 damit den 28. Platz ein. Zum Vergleich: Das U-Boot mit der höchsten Versenkungsrate, U-35 zerstörte fast fünfmal so viel gegnerischen Schiffsraum.
Für die Besatzungen waren die engen U-Boote des Ersten Weltkrieges (eigentlich eher tauchfähige Boote) noch schlimmer als die größeren Modelle der Jahre 1939 bis 1945. Einen Einblick gibt das in der Ausstellung gezeigte Tagebuch des vierten Maschinisten Georg Trinks, das ein Nachfahre zufällig auf einem Dachboden entdeckte und an Florian Huber weitergab.
Einmal notierte Trinks: „25 Meter tief liegen wir auf Grund. Eine Stille herrscht im Boot wie in einer Kirche. Nur der Kreiselkompass singt sein eintöniges Lied weiter. Sonst horcht alles auf die kommenden Bomben. Da, die erste. Die zweite… und so fort. Und jede kommt etwas näher.“
Wasserbomben waren bei weitem nicht die einzige tödliche Gefahr, die auf U-Boote lauerte. Ebenso waren sie bedroht seitens des Gegners durch Beschuss aus Schiffsgeschützen und durch Fliegerbomben. Existenziell wurden freilich oft auch technische Unzulänglichkeiten wie Treibstoffdämpfe im Rumpf, undichte Ventile der Tauchzellen oder Feuer an Bord.
Und Sperrnetze, für die UC-71 allerdings ein Gegenmittel hatte: eine Netzsäge. Sie sollte U-Boot-Sperrnetze zerschneiden, die wie Vorhänge in der Straße von Dover sowie vor sämtlichen Flussmündungen und Hafeneinfahrten in England an Bojen im Wasser hingen. Die Netzsäge von UC-71 ist 4,10 Meter lang, wiegt rund 100 Kilogramm und durfte 2016 vom Wrack geborgen werden, weil sie bereits neben dem Boot lag, also nicht mehr mit ihm verbunden war.
Ein Erlebnis, das viel mit der Netzsäge zu tun hatte, beschrieb Maschinist Trinks am 8. Dezember 1917 in seinem Tagebuch: „Die ganze Nacht sind wir durchgefahren, und als die Sonne im Osten den neuen Tag ankündigte, lag vor uns die Mole in Zeebrügge. Um 8.40 Uhr legten wir dort an, und mittags um zwölf Uhr konnten wir unser Boot in Brügge festmachen.“
Die Erleichterung, wieder heil im Heimathafen angekommen zu sein, wich jedoch bald dem Entsetzen: „Als wir noch einmal die Tauchtanks mit Luft ausbliesen, kamen zu unserem Erstaunen Teile von einem U-Boot-Netz hoch.“ Dabei kamen „auch zwei rot bemalte Minen zum Vorschein“.
Trinks notierte weiter: „Wir hatten also ganz ahnungslos diese Verderben bringende Ungeheuer mitgeschleift. Es waren Kontaktminen, und zu unserem Glück waren sie entschärft. Wir hatten wieder mal großes Glück gehabt, dass wir nicht ewige Dockzeit bei Vater Neptun bekommen hatten.“ Das blieb der Besatzung erspart. Erst bei der Überführung des Bootes nach Kriegsende versank es – angeblich „aus nicht erkennbarer Ursache“.
„Die letzte Fahrt von UC 71“. Museum Helgoland, bis 5. Januar 2025.