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Kolumne von Susan Arndt: Ein Gespräch mit Udo über Geflüchtete bringt mich um den Schlaf
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Susan Arndt: Die Idee von „Leitkultur“ definiert Deutschsein als weiß und christlich. Und das ist ein völkischer Gedanke, der statt dem seit 2000 in Deutschland geltenden ius soli, das vom Geburtsprinzip ausgeht, noch immer dem ius sanguinus das Wort redet.
Susan Arndt: "Die Idee von „Leitkultur“ definiert Deutschsein als weiß und christlich. Und das ist ein völkischer Gedanke, der statt dem seit 2000 in Deutschland geltenden ius soli, das vom Geburtsprinzip ausgeht, noch immer dem ius sanguinus das Wort redet".
  • FOCUS-online-Kolumnistin

Geflüchtete kommen nach Deutschland. Mein Freund Udo sagt: „Deren Krise ist so was von nicht mein Bier“. Viel zu oft höre ich Sätze, die unser Land mit Volldampf in die Vergangenheit des völkischen Rassismus jagen.

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„Du fällst vom Himmel, irgendwann, irgendwo. Das nennen die dann Heimat oder so.“  

Ich liebe diese Zeilen aus Udo Lindenbergs Song „Keine Staaten“. Der Song träumt davon, dass diese Welt nicht in Nationen aufgeteilt ist, sondern der Planet einfach allen gleichermaßen gehört. Das erzählte ich beim Geburtstag meiner Freundin Silke. Denn sie hatte sich von uns, ihren Gästen, gewünscht, dass wir alle ein Gedicht oder ein Lied mitbringen und sagen, warum wir es mögen. Leider löste meine Lied-Wahl einen Sturm der Empörung aus.

Silkes Mann Udo sprach diese am lautesten aus: „Hast du denn nichts von der Flüchtlingskrise gelernt? Sie hat die AfD groß gemacht, wann versteht ihr das endlich.“ 

Ich nahm an, dass sich dieses „ihr“ auf „woke“ und „linksgrün-versiffte“ Menschen bezog. Dennoch musste ich mich angesprochen fühlen. 

„Deren Krise ist so was von nicht mein Bier“

„Deine Flüchtlingskrise war nichts als eine Identitätskrise voller Angst davor, dass Deutschland mit seinen Ressourcen und Zugehörigkeiten nicht mehr nur Weißen allein gehöre.“ 

„Ja? Und?“, sagte Udo. Ich fuhr fort: „Was ist denn schon groß passiert? 2015 und 2016 wurden etwa doppelt so viele Anträge auf Asyl gestellt wie in den Jahren davor und danach. Das brachte einzelne Kommunen und Behörden an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Doch das war doch keine gesamtgesellschaftliche Krise – schon gar nicht gemessen an den Krisen, denen diese Menschen entfliehen mussten.“ 

Nun unterbrach mich Udo: „Deren Krise ist so was von nicht mein Bier“. Ich musste schmunzeln. Denn Udo hielt sich wirklich eine Flasche Bier wie ein Schutzschild vors Herz. „Da musst du gar nicht so blöd grinsen“, sagte Udo. „Menschen werden nun mal an einem Ort geboren und da gehören sie dann für immer hin.“ 

Das ließ mich protestieren: „Das hättest du mal deinen Vorfahren sagen sollen, bevor sie die ganze Welt eroberten. Um 1900 hatte Europa sich von der Welt insgesamt 30 Millionen Quadratkilometer einfach mal so angeeignet. Mit drei Millionen Quadratkilometern war Deutschland das drittgrößte europäische Kolonialreich. Und während Europa die Welt ausraubte, migrierten viele Europäer*innen an diese Orte, um sich dort auch noch anzusiedeln. In Südafrika, Namibia, Australien, Neuseeland, Brasilien.“

Über Susan Arndt

Susan Arndt ist Professorin für Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth. Nach einem Studium der Germanistik, Anglistik und Afrika-Literaturwissenschaft in Berlin und London promovierte sie zu Feminismus in der nigerianischen Literatur und Oratur.

In ihrem neuen Buch „Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD – Eine Intervention“ gibt sie der oft übersehenen Mehrheit an Ostdeutschen, die nicht die AfD wählen, eine Stimme.

 

Sätze, die unser Land mit Volldampf in die Vergangenheit des völkischen Rassismus jagen

Das ließ Udo den Raum verlassen. Eine Freundin von ihm übernahm den Staffelstab: „Das ist doch nichts als Kulturkampf“, schnauzte sie mich an: „Merkels ‚Wir schaffen das‘ war eine ‚Herrschaft des Unrechts. Da hat dein Söder voll recht.“ (Mein Söder sagte sie wohl, weil ich mich zuvor über sein unsinniges Verbot geschlechtergerechter Sprache empört hatte.)  

Warum es aber Unrecht sein soll, wenn Menschen entlang der Gesetzgebung Asyl beantragen, hatte ich noch nie verstanden. Deswegen fragte ich sie das: „Hat Udo doch gerade schon gesagt“, antwortete sie. „Jeder soll da leben, wo er hingehört. Wir brauchen hier keine Nassauer aus der Fremde. Und der Islam gehört eben nicht zu Deutschland.“ 

Darauf konnte ich nur eines sagen: „Weißt du, nicht ich bin es, die die AfD groß macht. Es sind genau solche Sprüche. Sie jagen unser Land mit Volldampf in die Vergangenheit des völkischen Rassismus.“

Die koloniale Eroberung der Welt durch Europa war ohne Gewalt nicht zu haben. Um diese anders zu framen, brauchte Europa eine Legitimationslüge. Diese behauptete, dass die in den Amerikas oder in Afrika lebenden Menschen keine vollwertigen Menschen, sondern Teil der dortigen Natur seien. Als solche könnten sie ihr Land weder besitzen noch kultivieren. Um das zu fundieren, wurden Menschen'rassen' erfunden und in Rassismus übersetzt.

Das Buch von Susan Arndt (Anzeige):

Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD: Eine Intervention

 

Weiß ist gut, Schwarz das Gegenteil

In vielen Phasen und Stoßrichtungen wurden Rassenmerkmale Körpern einverleibt. Zunächst wurde die christliche Farbsymbolik in ‚Hautfarben‘ übersetzt: Weiß ist gut, Schwarz das Gegenteil. In späteren Jahrhunderten drangen ‚Rassen’konstruktionen immer tiefer in den Körper ein – vermessen und kartiert wurden Schädelform und Skelettkontur sowie Blut und Gene. Diese körperlichen Unterschiede wurden mit Bedeutung und Wertung aufgeladen. Alles lief auf eine Kernaussage hinaus: Die ‚weiße Rasse‘ sei allen anderen überlegen. Sie allein folge der richtigen Religion, sei vernunftfähig und rational.

Dieser Rassismus diente Kolonialismus als Schwert. In seiner ersten Phase, von Columbus bis ins 18. Jahrhundert hinein, tarnte der europäische Kolonialismus seine Gewalt als göttliche Aufgabe. Die Welt müsste missioniert werden, notfalls auch gegen den Widerstand der Ungläubigen. Die Aufklärung setzte auf Säkularisierung und musste deswegen bei der Erfindung von Menschen’rassen‘ auf eine nicht-theologische Strategie umsteigen. 

Der pseudowissenschaftliche Rassismus ward geboren und die Aufklärung argumentierte, dass allein Weiße zu Rationalität und Fortschritt fähig und daher dazu verdammt seien, die Welt nach dem eigenen Ebenbild zu ‚zivilisieren‘. Nachdem der europäische Kolonialismus die radikalste Deportations- und Migrationsbewegung der Geschichte hingelegt hatte, gefiel es Weißen plötzlich doch nicht, dass sich daraus viele Kontaktzonen von ‚Rassen‘ ergaben. 

‚Volk‘ als toxischer Container

Die sich daraus ergebende Diversität wurde von ‚Rassen’theorien als Degenerationsgefahr für die ‚weiße Rasse‘ bewertet. Entsprechend stimmte die dritte Phase des Rassismus ein neues Kampflied an: „Höhere Rassen“ müssten sich der „niederen“ erwehren. Dabei wurde die ‚arische Rasse‘ als bislang am wenigsten kontaminierter Teil der weißen Rasse‘ herbeifantasiert.

Diesen Ideen von ‚Rasse' diente fortan ‚Volk‘ als toxischer Container. Dieser grenzte sich nach Außen ebenso ab wie nach Innen. Das seit 1842 zunächst in Preußen und dann im Deutschen Reich eingeführte ius sanguinis, das Deutschsein an eine Blutherkunft band, befeuerte auch Antisemitismus und Antiziganismus. 

Juden und Rom*nja wurden aus dem deutschen Volkskörper ausgegrenzt und zugleich zu Sündenböcken für innenpolitische Konflikte gemacht. Ihnen wurden global angeleitete Unterwanderungsstrategien ebenso angedichtet wie ein Verbrecher-Gen. Gesetzgebungen wiesen die Diskriminierung von Juden und Rom*nja an. Das schloss Eugenik und Euthanasie ein, welcher durch Shoah und Porajmos einen grausamen Klimax fanden.

Gäste, die nicht zu Deutschland gehören: Ihr kommt, um wieder zu gehen

Die Zerschlagung des Nationalsozialismus ging nicht mit einem Ende des Rassismus einher. England und Frankreich blieben Kolonialmächte und die US-amerikanische Jim Crow Ära basierte auf Apartheid-Methoden. Je mehr die Dekolonisierungsbewegungen und Schwarzen Bürgerrechtsbewegungen Kolonialismus und Rassismus bezwangen, umso lauter wurde das Schweigen über diese europäische Geschichte und deren Ausläufer in die Gegenwart.

Als das Nachkriegseuropa Arbeitskräfte aus der Karibik oder der Türkei einlud, Arbeiten im Niedriglohnsektor zu übernehmen, machte Deutschland auch ohne Apartheid-Bänke mit der Aufschrift „Nur für Weiße“ allen Ankommenden klar: Ihr seid ‚Gastarbeiter‘ – also Gäste, die nicht zu Deutschland gehören. Ihr kommt, um wieder zu gehen. 

Weder eine noch so konsequent betriebene Integrationsarbeit der Ankommenden noch eine Einbürgerung samt deutscher Staatsbürgerschaft kam gegen diese weiße Wand an. Noch immer stand diese fest auf dem Fundament des „Volks“-Begriff des Degenerationsrassismus. So heißt es etwa im Heidelberger Manifest von 1981: Das „deutsche […] Volk” sei vor einer „Unterwanderung” durch den „Zuzug von vielen Millionen von Ausländern”, also vor einer „Überfremdung”, zu schützen. Das behauptet auch Sarrazin in seiner Streitschrift Deutschland schafft sich ab (2010).  

Hier setzt das AfD-Credo „Deutschland, aber normal“ an

Schon „Kultur“ hat es in sich. Kultur kann die Zauberflöte-Premiere im Leipziger Gewandhaus meinen, eine Kunstausstellung oder eben so etwas wie „deutsche Kultur“. Dann könnte es Sauerkraut oder Pünktlichkeit meinen, Karneval oder Oktoberfest – oder eben „Volk“. 

Letzteres macht die Idee von „Leitkultur“ aus. Sie definiert Deutschsein als weiß und christlich. Und das ist ein völkischer Gedanke, der statt dem seit 2000 in Deutschland geltenden ius soli, das vom Geburtsprinzip ausgeht, noch immer dem ius sanguinus das Wort redet.

Hier setzt das AfD-Credo „Deutschland, aber normal“ an, um den völkischen Rassismus des 21. Jahrhunderts noch tiefer in dessen Vergangenheit zurückzubefördern. Die Rede vom „Ethnopluralismus“ klingt erstmal harmlos nach kultureller Diversität im Sinne von Multikulturalismus. Tatsächlich aber meint Ethnopluralismus genau das Gegenteil: Es gäbe verschiedene Völker, doch diese sollten bleiben, wo sie sind. Genau genommen, geht es um die Behauptung, dass jede Migration in Richtung Europa eine Degeneration der ‚weißen Rasse‘ bedeute.

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht"

Diese eugenische Grundidee liegt der Remigrationsagenda der AfD zugrunde. Neben Äußerungen von AfD-Politiker*innen belegen dies die Recherchen von „correctiv“. Um diese zu verwässern, verfasste die AfD ein Positionspapier. Doch selbst hier tun sich Abgründe auf. Familienzusammenführungen seien zu beenden, Syrien und Afghanistan als sichere Herkunftsländer einzustufen. Auch wer straffällig wird, müsse deportiert werden. Als eine solche Straftat kann bereits die Teilnahme an einer pro-palästinensischen Demo gelten. 

Letztlich steht also jede einzelne Person of Colour im Visier der Remigrationsagenda. Der völkische Rassismus grenzt sie aus dem deutschen Volkskörper aus und stellt sie dabei, in tradierter Manier, als Gäste, Sündenböcke für innenpolitische Konflikte, Verschwörer einer Globalisierungsagentur oder Träger eines Verbrecher-Gens hin. 

Kein Wunder, dass ich in letzter Zeit so viel an Heine denken muss: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“ 

Vielleicht hätte ich diese Zeilen an Silkes Geburtstag beisteuern sollen, um zu sagen: „Ich mache mir Sorgen um unser Land. Wie können wir ein Einwanderungsland sein, das den einen Integration abverlangt und mit Deportation droht – und dabei den anderen Rassismus durchgehen lässt, obwohl dieser doch jede Welt aus den Fugen hebt.“

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