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Sebastian Fischer

Die Lage am Morgen Irre gefährlich oder gefährlich irre?

Heute geht es um den Auftakt der Prozesse gegen die »Reichsbürger«-Gruppe um Prinz Reuß, um das Nischendasein der FDP sowie Spaniens Premier Pedro Sánchez, der fünf Tage lang über sein Amt und seine Zukunft nachgedacht hat.

Einigeln in der Nische

Das Entscheidende vorweg: Die FDP hat am Wochenende die eigene Regierung geschont. Sie haben also nichts verpasst, die Liberalen bleiben in der Ampel. Stand jetzt.

FDP-Chef Lindner

FDP-Chef Lindner

Foto: Liesa Johannssen / REUTERS

Doch etwas ist dennoch passiert: FDP-Chef Christian Lindner hat sich von jenem breiteren Politikansatz verabschiedet, mit dem er die Liberalen vor sechs Jahren zurück in den Bundestag und vor zwei Jahren zurück in die Regierung geführt hat. Nun heißt es wieder: Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Lindner reist mit der FDP zurück in die alte Nische.

Und, entscheidender noch: Der Parteichef begeht einen Fehler, den schon einige seiner Vorgänger begangen haben, Stichwort: Partei der Besserverdienenden. Er grenzt vermeintlich Leistungsbereite von vermeintlichen Müßiggängern ab. Diese seltsam binäre Sichtweise machte Lindner mit seiner harten Ablehnung der Viertagewoche deutlich.

Der FDP als Ein-Themen-Partei bleibt dann eine, nun ja, recht spitze Zielgruppe. Ob die am Ende tatsächlich fünf Prozent des Wahlvolks ausmacht? Lindner scheint nun alles auf diese eine Karte zu setzen – so ist er allerdings darauf angewiesen, dass ihm SPD und Grüne bei seiner gewünschten »Wirtschaftswende« in irgendeiner Weise entgegenkommen.

Schon in dieser Woche gibt es eine Bewährungsprobe beim Haushalt: Bis zum 2. Mai müssen die Ressorts ihre Etatwünsche und Sparvorschläge beim Finanzminister Lindner einreichen. Nicht wenige Sozialdemokraten und Grüne wünschen aber weiterhin eine Lockerung der Schuldenbremse.

Lindners Traum von der Nischenpartei FDP könnte genauso schnell zerplatzen, wie er all die Jahrzehnte zuvor in schöner Regelmäßigkeit zerplatzt ist.

Auftakt der »Reichsbürger«-Prozesse

Es beginnt die entscheidende Phase eines der größten Staatsschutzverfahren der bundesdeutschen Geschichte: Knapp eineinhalb Jahre nach der Zerschlagung der »Reichsbürger«-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, einer mutmaßlich rechtsextremen Terrorzelle, beginnt die Aufarbeitung vor Gericht.

Insgesamt hat die Bundesanwaltschaft 27 Verdächtige angeklagt, vor den Oberlandesgerichten in München, Stuttgart und Frankfurt am Main.

Festnahme von Heinrich XIII. Prinz Reuß im Dezember 2022

Festnahme von Heinrich XIII. Prinz Reuß im Dezember 2022

Foto: Boris Roessler / dpa

Der Anfang wird heute im Hochsicherheitsgerichtssaal von Stuttgart-Stammheim (Sie erinnern sich: die RAF) gemacht, hier geht es um den sogenannten militärischen Arm der »Reichsbürger«-Gruppe: neun Angeklagte, fünf Richter, 22 Verteidiger. Nach Erkenntnissen der Ermittler planten die Beschuldigten um Prinz Reuß einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag sowie die Festnahme von Politikern. Daraufhin, so der Plan, sollten Unruhen in Deutschland ausbrechen, die »Reichsbürger« würden die Macht übernehmen.

Es ist glücklicherweise anders gekommen. Prinz Reuß wird sich ab dem 21. Mai in Frankfurt am Main vor Gericht verantworten müssen und mit ihm ehemalige Bundeswehroffiziere sowie eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete. »Die Mitglieder der Gruppe waren teils wie besessen von Schauermärchen der sogenannten QAnon-Bewegung«, sagt mein Kollege Wolf Wiedmann-Schmidt, der sich intensiv mit dem Fall beschäftigt hat.

Anhänger des Verschwörungskults QAnon sind überzeugt davon, eine herrschende Elite ermorde Kinder, um ein Verjüngungsserum zu gewinnen. Gleichzeitig hatte die Reuß-Truppe Zugang zu einem Arsenal an Waffen, berichtet Wolf: 148.000 Schuss Munition und 382 Schusswaffen stellten die Fahnder bei ihren Razzien sicher. »Harmlos war die Reichsbürger-Gruppe sicher nicht«, meint Wolf. Für ihn bleibe die Frage: »Waren sie gefährlich irre – oder irre gefährlich?«

Macht Sánchez weiter?

Seit Mittwoch denkt Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez über einen möglichen Rücktritt nach. Fünf Tage Bedenkzeit. Das selbst gesetzte Ultimatum ist nun abgelaufen, heute will der Sozialist seine Entscheidung verkünden. Tausende demonstrierten am Wochenende in Madrid für einen Verbleib von Sánchez im Amt.

Auslöser: Die rechtsradikale Organisation »Manos Limpias«, die gegen Sánchez’ Ehefrau Anzeige erstattet hat. Es geht um vermeintliche Korruptionsvorwürfe, die Rechtsaußen sind bekannt für solche Anzeigen gegen Politiker – selten mit juristischen Folgen.

Premier Sánchez, Ehefrau María Begoña Gómez Fernández

Premier Sánchez, Ehefrau María Begoña Gómez Fernández

Foto:

Remo Casilli / REUTERS

Dennoch erklärte Sánchez vergangenen Mittwoch, er wolle nun darüber nachdenken, ob es sich noch lohne, Ministerpräsident zu bleiben »trotz des Sumpfes, in dem die Rechten und Rechtsextremen versuchen, Politik zu machen«.

Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang: Zuerst einmal hat Sánchez einen politischen Spannungsbogen aufgebaut. Was wird dieser Montag bringen?

Dann: Sánchez betreibt einerseits Entschleunigung – wer nimmt sich heutzutage noch fünf Tage Zeit? – andererseits bedient er die Reflexe einer Medien- und Social-Demokratie und kreiert ein künstliches Ereignis. Countdown bis zum Montag.

Was steckt dahinter? Mein Kollege Steffen Lüdke aus dem Auslandsressort hat die drei kursierenden Theorien zusammengetragen:

  • Erstens: Der erschütterte Ehemann – Sánchez ist wirklich getroffen, hat emotional und aufrichtig reagiert.

  • Zweitens: Der Spieler – Sánchez mobilisiert für eine Vertrauensfrage im Parlament und erhofft sich neuen Schwung im Amt.

  • Drittens: Der Karrierist – Sánchez spekuliert auf neue Jobs, etwa in Brüssel. Kommissionspräsident? Ratspräsident?

Es bleibt spannend.

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Gewinner des Tages…

…werden die Sieger des »Deutschen Lehrkräftepreises 2023« sein. Zehn Lehrerinnen oder Lehrer, drei Schulleitungen und fünf Teams von Lehrkräften werden für ihre Leistungen ausgezeichnet. Träger des Wettbewerbs ist unter anderem der Deutsche Philologenverband. Die Rede wird die Bundesbildungsministerin halten. Das ist eine Politikerin von der FDP namens … Moment, ich muss nachschauen … Bettina Stark-Watzinger.

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Diesen Text möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:

Aldi-Filiale in Köln: Immer mehr Läden werden mit Doppelkassen ausgerüstet

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Foto: Christoph Hardt / Geisler-Fotopres / Geisler-Fotopress / picture alliance

Neue Doppelkassen bei Aldi Süd sorgen für Frust: Es klingt so schön effizient. Beim Discounter Aldi Süd können in vielen Filialen zwei Kunden an der Kasse gleichzeitig bedient werden. Doch die Angestellten klagen über Stress und Rückenschmerzen. Und mein Kollege Torsten Kleinz hat herausgefunden: Mancher Einkauf wird offenbar gar nicht bezahlt. 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros