Deutschlands Vorkämpferin gegen Steuerbetrug: „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, aber …“

Die „Cum-Ex“-Chefanklägerin wird „Aktivistin“. Wer ist diese Frau?

Will nicht mehr Staatsanwältin sein: „Cum-Ex“-Chefanklägerin Anne Brorhilker

Will nicht mehr Staatsanwältin sein: „Cum-Ex“-Chefanklägerin Anne Brorhilker

Foto: picture alliance/dpa

Sie hat im Dienst des Staates ermittelt. Zwölf Jahre lang. Jetzt glaubt sie: OHNE den Staat lasse sich besser ermitteln. Ein Misstrauensvotum gegen den Justizapparat, dem sie noch angehört. Und gegen die Politik.

Anne Brorhilker, 50 Jahre alt, bisher Oberstaatsanwältin in Köln: Noch genau 33 Tage leitet sie die Hauptabteilung H, zuständig für Steuerstrafsachen. Dann steigt sie aus. Schmeißt hin, räumt ihren ziemlich unaufgeräumten Schreibtisch für immer auf.

Sie hat beantragt, ihr Beamtenverhältnis, also ihre „Lebensversicherung“, aufzulösen. Künftig kämpft sie hauptberuflich für die „Bürgerbewegung Finanzwende“, einen Verein, der sich für Fairness in der Welt des großen Geldes einsetzt.

Deutschlands bekannteste und wohl mächtigste Staatsanwältin wird „Aktivistin“.

„Nicht zufrieden, wie Finanz-Kriminalität verfolgt wird!“

„Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanz-Kriminalität verfolgt wird“, sagt Brorhilker. Es gehe „oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten“, die auf „eine schwach aufgestellte Justiz“ treffen würden, so schildert sie es dem WDR.

Brorhilker ist das Gesicht der sogenannten „Cum-Ex“-Strafverfahren: Ein großes Netzwerk aus Bankern, Anwälten und Wirtschaftsprüfern hat den Staat hier um Milliarden an Steuern betrogen.

Die 50-Jährige ist seit Jahren getrieben, möglichst viele der Verdächtigen hart zu bestrafen. Seit 2013 hat sie gegen 1700 Beschuldigte „Cum-Ex“-Verfahren eingeleitet. Sie war es, die eine Razzia bei der Hamburger Warburg Bank durchsetzte. Auf dem privaten Anwesen des langjährigen Warburg-Chefs Christian Olearius (81), der inzwischen auf der Anklagebank sitzt, ließ sie dessen Tagebuch sicherstellen: samt seiner Notizen über Gesprächstermine mit Olaf Scholz (65, SPD).

Brorhilker ist gefürchtet! Eine Frau, die bunte Brillen und Musik liebt. Die verheiratet ist, aus einem Hause von Wirtschaftsprüfern stammt: Ihr Vater arbeitete für „Ernst & Young“, ihr Bruder tut dies ebenfalls.

Die Westfälin wirkt auf den ersten Blick schüchtern. Aber nur, bis sie den Mund aufmacht. Sie kämpft – und wird seit Jahren bekämpft: auch mit Strafanzeigen und Dienstaufsichts-Beschwerden.

Die Staatsanwältin, die keine „Deals“ mag

„Die unangenehmen Seiten“, nennt sie das. Umstritten ist sie auch, weil sie stets „Deals“ mit den Beschuldigten ablehnte. Wenn sich reiche Täter „rauskaufen“ könnten, erschüttere dies das Vertrauen in den Rechtsstaat, sagt sie.

Im vergangenen Jahr kam es zum schweren Crash von ihr mit dem nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach (54, Grüne). Brorhilker sollte Zuständigkeiten abgeben. Sie fürchtete ihre Entmachtung, ging an die Öffentlichkeit – und setzte sich durch, erhielt sogar zusätzliches Personal.

Warum dann nun trotzdem ihr Rückzug? „Ich habe bemerkt, wie schwer es ist ausreichend Unterstützung für die Aufklärung zu bekommen“, sagt Brorhilker nach einem Jahrzehnt Ermittlungen. Aber hat sie damit wirklich recht?

Wurden ihre Ermittlungen behindert?

Insider behaupten, Brorhilker sei in den letzten Monaten immer mehr selbst unter Druck geraten. Zu einseitig habe sie ermittelt, habe einzelne Banken – etwa die WestLB – angeblich geschont.

Doch Fakt ist: Auffällig viele „Cum-Ex“-Spuren verlieren sich bis heute in einem tiefen Dickicht. Verschwundene Dokumente, Zeugen, die schweigen oder sich nicht erinnern. Große Verfahren wurden bei den Gerichten nicht gebündelt. Politik und Banken-Welt haben nie ein gemeinsames großes Interesse gezeigt, den Skandal aufzuklären. Und dabei geht es doch um so viel Steuergeld!

Bundesjustizminister: „Will mich nicht einmischen!“

Und auch jetzt, wo die oberste „Cum-Ex“-Ermittlerin frustriert aufgibt, bleibt die Politik weitgehend stumm. Kein Aufschrei! Bundesjustizminister Marco Buschmann (46, FDP) sagt, Brorhilker habe ja hingeschmissen, weil sie offenbar „mit Organisationsmaßnahmen“ in ihrer Justizverwaltung unzufrieden sei. Und „in diese Binnendebatte will ich mich nicht einmischen“, so Buschmann. Finanzminister Lindner wollte sich auf BamS-Anfrage nicht äußern.

Der Ex-SPD-Chef und einstige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (71): „Die Beschuldigten sind zunächst mal eine Gegnerin los, die schon einige von der Luxusyacht in den Knast befördert hat. Der NRW-Justizminister steht vor einem Scherbenhaufen.“

Die Behörde selbst sieht dies offenbar anders. Auf BamS-Anfrage erinnert das Ministerium die Noch-Staatsanwältin Brorhilker allerdings streng an ihre „Verschwiegenheitspflicht“. Ein aus dem Beamtenverhältnis ausscheidender Staatsanwalt sei „nicht berechtigt, im Dienst erlangter Kenntnisse, insbesondere Ermittlungsergebnisse, im neuen Beschäftigungsverhältnis zu nutzen“, heißt es. Ein Satz, der für Brorhilker wie eine Warnung klingen muss. Eine Warnung, künftig den Mund zu halten.

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