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Brettspiel-Empfehlungen Ein Fest für Strategen

In der Elektroautofabrik, auf der Schafweide oder auf der Riesenbaustelle – taktisches Denken ist gefragt. Hier sind vier opulente Spiele, bei denen man garantiert Muskelkater zwischen den Ohren bekommt.
»Praga Caput Regni«: Immobilienboom im Mittelalter

»Praga Caput Regni«: Immobilienboom im Mittelalter

Foto: Maren Hoffmann

Dieser Testbericht ist erstmals am 10. April 2021 erschienen. Wir haben zwei neue Spiele getestet und den Artikel aktualisiert.

»Great Western Trail Neuseeland«: Reich werden mit Schafen

Ach, das Leben ist so kompliziert. Warum nicht einfach nach Neuseeland gehen und auf einer Schaffarm anheuern – endlich Ruhe, endlich Frieden und selige Einfachheit!

Von wegen. Gegen das Leben als Schaffarmer in Alexander Pfisters neuem Spiele-Opus erscheint die Arbeit als, sagen wir, Patentrechtsanwalt, Hirnchirurgin oder Investmentbanker nahezu unterkomplex. Wir haben so viele Möglichkeiten, unsere kleine Farm strategisch nach vorn zu bringen oder aber auch ihren Erfolg aufs Spiel zu setzen, dass schnell eine Optionsparalyse einsetzen kann.

Foto: Maren Hoffmann

Neuseeland ist der Schauplatz des letzten Teils der »Great Western Trail«-Trilogie. Wie bei den beiden ausgezeichneten Vorgängern geht es darum, Tierherden über eine Strecke voller Chancen und Gefahren zum Handelsposten zu treiben, dabei möglichst viel Gewinn zu machen und Siegpunkte abzusahnen. Dabei wird das Prinzip des Laufspiels – Figürchen ziehen über Felder voran – mit Kartenmanagement verquickt; als Farmer benötigen wir natürlich möglichst wertvolle und vielfältige Schafe. Mit den einfachen Shropshires, Southdowns und Merinos aus unserer Startkartenhand kommen wir nicht weit, Karten mit Suffolks, Lincolns und Ryelands bringen deutlich mehr Punkte und vor allem gewinnbringende Wolle.

Wir stellen Schafscherer, Seeleute, Handwerker und Schäferinnen ein, sammeln Gold, schicken Schiffe los und errichten Lagerhäuser. Sobald wir am Ziel unserer Reise, Wellington, angekommen sind, verhökern wir unsere Schafe und ziehen von Neuem los. Die reiche Auswahl an Aktionsfeldern, die dynamische Entwicklung des Hauptplans und des eigenen Spieltableaus vermitteln ein Gefühl von Überfluss. Hier den jeweils besten Punkt im Optimierungsvieleck zu finden, ist nicht trivial – auch die Route will klug gewählt sein, um nicht zu hohe Zölle an die Konkurrenz zahlen zu müssen.

Die drei »Great Western Trail«-Spiele sind alle gut, aber dieses jüngste finde ich am besten, weil es am meisten Entfaltungsmöglichkeiten bietet und die Entwicklung des Spielgeschehens durch einen sich ständig verändernden Plan dynamisch unterstützt. Ein eleganter Solo-Modus gegen die konkurrierende Schafzüchterin Sarah ist auch enthalten – so kann man auch mal allein auf den Schaf-Treck gehen.

Leider ist aber auch eine Schwäche der Vorgänger erhalten geblieben: Die kleinen Cowboyhüte machen die Spielfiguren sehr kopflastig und kippgefährdet. Aber letztlich ist auch das thematisch schlüssig.

Für eine bis vier Personen ab 12 Jahren, rund 75 Minuten Spielzeit

Hand drauf: Flexible Strategen, die gern verschiedene Ansätze auf ihre Erfolgsaussichten prüfen und dasselbe Spiel gern öfter auf den Tisch bringen

Finger weg: Fans harter Duelle, Aus-dem-Bauch-Spieler und Monostrategen


»Hegemony«: Arbeiterklasse gegen Kapitalisten

Ich würde ja sehr gern den Mindestlohn senken. Was mich die ganzen Arbeiter in meinen vielen Unternehmen kosten! Unfassbar. Aber um die Gesetzesänderung durchzudrücken, bräuchte ich politische Unterstützung. Dumm nur: Als Kapitalistenklasse stehe ich allein auf weiter Flur. Mir bleibt eigentlich nur der Stimmenkauf.

»Hegemony« ist asymmetrisch: Jeder, der maximal vier Mitspieler strebt nach jeweils eigenen Regeln nach der Vormachtstellung im Spiel. Die Mittelschicht weigert sich, meine Mindestlohnsenkung zu unterstützen, weil ihr auch Angestellte angehören, die in meinen Unternehmen arbeiten; der Staat liebt Steuereinnahmen, und die Arbeiterklasse ist sowieso gegen alles, was dem Kapital frommt. Das geht so weit, dass sie in einer späteren Runde sogar eigene Bauernhöfe gründet, damit ich auf meinem mühsam gescheffelten Getreide sitzenbleibe.

Foto: Maren Hoffmann

Die Frage danach, ob ein Spiel komplex sein kann, beantworten die beiden griechischen »Hegemony«-Autoren Varnavas Timotheu und Vangelis Bagiartakis mit einem klaren »Ja!«. Das Setting der konkurrierenden Kräfte im selben Staat ist ungemein anspruchsvoll. Gleichzeitig sind keine beliebigen Zusatzelemente verschraubt; alles hat einen funktionalen Sinn und greift ineinander – und bildet Elemente der realen Welt ab. Erkenntnisgewinne aus dem Spiel lassen sich ins Leben mitnehmen. Das ist ähnlich wie bei »Weimar« von Matthias Cramer .

Auf sieben Themenskalen, von Steuerpolitik über Arbeitsmarktregularien bis zu Gesundheitswesen und Einwanderung, setzen wir uns politisch auseinander. So findet unsere gemeinsame Nation ihre Linie zwischen Sozialismus und Neoliberalismus. Für Änderungen benötigt man Mehrheiten und muss Bündnisse schmieden. Die Arbeiterklasse giert stets nach Lohn, Bildung und Sozialleistungen; die Kapitalisten wollen Steuern sparen, global agieren und fette Gewinne kassieren; der Staat will es irgendwie allen recht machen und dabei möglichst nicht pleitegehen, weil sonst der Internationale Währungsfonds eingreift. Die Mittelschicht muss den Spagat schaffen, sowohl Angestellten als auch kleinen und mittleren Unternehmen genug bieten zu können. Für jede Aktion muss man eine der eigenen Karten ausspielen; hinzu kommen ein paar freie Aktionen wie etwa das Einsacken staatlicher Förderungen oder das Anpassen der Verkaufspreise.

Das ist sehr interaktiv und jede Klasse spielt sich komplett anders: die Kapitalisten kommen erst spät in Schwung, Arbeiterklasse und Staat können schon von Anfang an kräftig punkten. Löblich sind die großformatigen Spielhilfen, die alle möglichen Aktionen und deren Auswirkungen auf die eigene Klasse auf einen Blick zeigen.

Die große Viererrunde hatte ihre Längen (und beanspruchte deutlich mehr Zeit als die maximal drei Stunden, die die Schachtel angibt), wurde aber durch wechselnde Koalitionen und Intrigen spannend. In einem Zweier-Setup liefern sich Kapitalisten und Arbeiter ein Tauziehen – und jede Menge Trashtalk am Spieltisch. Wie ohnmächtig das Kapital ist, wenn die Arbeiterklasse mal eben die Steuern verdreifacht! Und wie sich die Arbeiter aufregen, wenn man Unternehmen komplett automatisiert oder sich vom hart erarbeiteten Vermögen eine siegpunktträchtige Privatinsel gönnt! Jede Klasse bietet reiches Identifikationspotenzial – und viel Gelegenheit zu ausgiebigem Gejammer über die angebliche Ungerechtigkeit der Welt.

Für eine bis vier Personen ab 14 Jahren, 90 bis 180 Minuten Spielzeit

Hand drauf: politisch Interessierte, Teufelsadvokaten und Langstreckenstrategen

Finger weg: Gelegenheitsspielerinnen, Harmoniebedürftige und Entspannungswillige


»Praga Caput Regni«: Mittelalterliche Baufreuden

Wir schreiben das 14. Jahrhundert. Der mächtige Karl IV., König von Böhmen und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, regiert in Prag und gibt jede Menge Prestigebauten in Auftrag: Karlsbrücke, Veitsdom, Stadtmauer, prächtige Häuser. Als reiche Adlige wollen wir einander mit Bauprunk übertrumpfen. Alles für die Gunst des Königs!

In jeder Runde wählt man eine Aktion plus Bonus auf dem Aktionsrad, baut das eigene Tableau oder die Stadt aus, schürft in den Minen oder geht in den Steinbruch, um Baumaterial zu bekommen – das spielt sich fluffig, ist aber ein echter Hirnverzwirbler, weil alles so wunderbar miteinander verzahnt ist, dass reine Bauchspieler keine Chance haben.

»Praga Caput Regni« (Prag, Hauptstadt des Königreichs) vom tschechischen Erfolgsautors Vladimír Suchý wirkt auf den ersten Blick ein wenig abschreckend, wie ein riesiges, schmerzhaft buntes Wimmelbild mit unglaublich viel Zeug drumherum: Brückenplanken, Technologie- und Bonusplättchen, zwölf unterschiedliche Arten von Gebäuden, kleine Würfelchen, goldene Fensterchen – und Eier (eine Anspielung an die Legende, derzufolge die Karlsbrücke ihre Standfestigkeit der Beimischung von Eiern zum Zement verdankt).

Wenn man sich an die Optik gewöhnt hat, begeistert das Material aber. Denn alles, was man im Spiel an Regelerinnerung braucht, ist dort abgebildet – oder gleich in eine clevere Mechanik umgesetzt. So wird nach jedem Zug das Aktionsrad ein Feld weitergedreht. Nicht genommene Marker fahren dabei weiter in die Gewinnzone, wo sie zusätzliche Siegpunkte bringen.

Ist die erste Phase des Spiels vorbei, fällt das dabei mitgeschobene Holzwürfelchen automatisch in eine kleine Vertiefung und das Rad lässt sich nicht weiterdrehen. So kann man gar nicht vergessen, Phase zwei einzuleiten, bei der einige Plättchen ausgetauscht werden müssen. Auch die beiden Kräne auf den Spielertableaus arretieren, wenn Goldvorrat oder Steinreichtum eine bestimmte Marke erreichen. Es geht erst weiter, wenn man das Würfelchen entfernt – so vergisst niemand, sich seine Belohnung zu nehmen.

Das Spiel ist herausfordernd und kompetitiv, aber nicht gemein. Jede Aktion bringt Belohnungen; entscheidend ist, Planungen so aufeinander abzustimmen, dass die erlangten Vorteile sich klug ergänzen. Viele Wege können zum Sieg führen – und selbst übrig gebliebene Eier bringen am Ende noch Punkte. Im Spielefachhandel und bei diversen Onlineshops lässt sich das Spiel derzeit für um die 40 Euro vorbestellen – die erste Auflage war rasch vergriffen.

Eine bis vier Personen ab 12 Jahren, 45 bis 150 Minuten

Hand drauf: Geschickte Multioptimierer, Preisbewusste

Finger weg: Designverliebte Ästheten


»Alma Mater«: Exzellenzinitiative am Spieltisch

»O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Lust, zu leben. Die Studien blühen, die Geister regen sich! Du, Barbarei, nimm den Strick und mach Dich auf Verbannung gefasst!« So begeisterte sich der Humanist Ulrich von Hutten im Jahre 1518 für das blühende Zeitalter der Bildung. Die Renaissance war voller Aufbruch, und am Spieltisch lassen wir uns davon anstecken und wetteifern an unseren frisch gegründeten Universitäten um die tollsten Professoren, die fähigsten Studenten und die beste Forschung. Und natürlich den meisten Ruhm.

Foto: Maren Hoffmann

Das Spiel hat tolle Mechaniken und interessante Ideen, aber das beste sind diese kleinen Kunststoffbücher, die man in seiner Bibliothek sammelt. »Alma Mater« von Acchittocca, Flaminia Brasini, Virginio Gigli, Stefano Luperto, und Antonio Tinto ist ein fein ausgestattetes Tüftlerspiel. Wie immer will man alles, kann aber leider nicht alles haben: Ein toller Professor? Der kostet! Fortschritt auf der Forschungsleiste? Noch mehr Studierende? Muss man sich alles leisten können.

Zu Beginn kann man nur vier Magister auf den Aktionsfeldern des opulenten Plans einsetzen – später können es bis zu sechs werden. Auf dem eigenen Tableau sammelt man eifrig Bücher, Studenten und daneben mit Glück auch Professoren und Rektoren.

Die direkte Interaktion mit den Mitspielern beschränkt sich auf den Kauf und Verkauf von Büchern – denn: Nur mit den eigenen Büchern kommt man einfach nicht weit genug, man braucht auch externes Fachwissen, um die Stars der Wissenschaft anzulocken. Man muss die Pläne der akademischen Mitbewerber auf dem Radar haben, sonst ist der Aktionsplatz besetzt, und man braucht plötzlich zwei Magister, um überhaupt handlungsfähig zu sein – oder der beste Student ist schon in einen anderen Hörsaal abgewandert.

In der B-Note gibt es allerdings Abzüge für den Staub auf den Rollenbildern: Auch wenn es in der Renaissance wenige Frauen an den Unis gegeben haben mag – ein Spiel ist ja immer ein fiktiver Raum, da ist es einfach doof, wenn es kaum weibliches Personal auf den Karten gibt. Andere Spiele machen das besser.

Zwei bis vier Personen ab 14 Jahre, anderthalb bis zweieinhalb Stunden

Hand drauf: Geduldige Grübler

Finger weg: Impulsspieler und Actionfreunde