Veruntreuung von Steuergeldern?: Top-Beamter arbeitet in FDP-Zentrale statt fürs Ministerium

Carsten J. schiebt am 22. April sein Fahrrad nach einem Arbeitstag aus der FDP-Zentrale

Carsten J. schiebt am 22. April sein Fahrrad nach einem Arbeitstag aus der FDP-Zentrale

Foto: Hartmut Wagner

Berlin – Morgens, gegen 9 Uhr, klemmt Carsten J. seine braune Aktentasche an den Gepäckträger seines Fahrrads und radelt von zu Hause los. Zehn Minuten bräuchte der Top-Beamte des Bundesverkehrsministeriums bis zu seinem Arbeitsplatz. Aber dort fährt J. nicht hin. Sein Weg führt ihn in die FDP-Parteizentrale.

Wochenlange BILD-Recherchen enthüllen, wie ein Beamter seinen Staatsdienst offenbar vernachlässigt, stattdessen regelmäßig Parteiarbeit für die Liberalen verrichtet. Der Fall ist brisant, denn es steht der Verdacht im Raum, dass ein FDP-Ministerium systematisch Steuergelder veruntreut.

Zuvor war der Top-Beamte Programm-Chef der FDP

Seit Jahrzehnten ist J. ein treuer Parteisoldat. Er war Büroleiter des damaligen Bundeswirtschaftsministers, Rainer Brüderle (78). Zuletzt verantwortet er in der Bundesgeschäftsstelle den Bereich „Programm und Analyse“. Im November 2023 wechselte er dann ins Bundesverkehrsministerium, teilt sich laut Organigramm die Leitung des Referats L13 (Politische Koordinierung für EU, Bundesrat, Länder und Kommunen) mit einem Kollegen.

Was weiß Bundesverkehrsminister Volker Wissing (54, FDP) über den Partei-Job seines Top-Beamten?

Was weiß Bundesverkehrsminister Volker Wissing (54, FDP) über den Partei-Job seines Top-Beamten?

Foto: picture alliance / photothek.de

Kein Einzelfall: In den vergangenen Monaten bekamen gleich eine ganze Reihe Mitarbeiter aus der FDP-Zentrale und der Bundestagsfraktion Beamtenjobs im Finanz-, Justiz-, Bildungs- und Verkehrsministerium. Darunter auch Ex-Bundesgeschäftsführer Michael Zimmermann (43).

Die Besonderheit bei J.: Er arbeitet trotz seiner offiziellen Erwähnung im Organigramm des Ministeriums und der Besoldung als Bundesbeamter einfach weiter für die FDP-Zentrale in der Reinhardstraße. Nach BILD-Informationen ist J. mehrmals pro Woche im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, verbringt dort in der Regel den gesamten Arbeitstag. Eine Mitarbeiterin der Bundesgeschäftsstelle bestätigte dies am Telefon, nannte sogar die aktuelle Telefon-Durchwahl für J. in der Bundesgeschäftsstelle und seine FDP-Mail-Adresse.

BILD konfrontierte das Verkehrsministerium und die FDP mit dem Vorgang, stellte detaillierte Fragen. Hat J. eine Nebentätigkeit? Wer hat J. die regelmäßige Tätigkeit in der Parteizentrale genehmigt? Wie ist die Parteitätigkeit mit seinem Amt vereinbar? Ministerium und FDP lehnten eine Stellungnahme ab, verwiesen wortgleich auf den „Persönlichkeits- und Datenschutz“.

Mitte April besuchte Referatsleiter J. auch eine FDP-Veranstaltung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin

Mitte April besuchte Referatsleiter J. auch eine FDP-Veranstaltung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin

Foto: Fabian Matzerath / BILD

Gegen Zusicherung der Anonymität waren Mitarbeiter des Ministeriums da auskunftsfreudiger. So sagen gleich mehrere mit dem Vorgang vertraute Beamte, dass J. so gut wie nie im Ministerium sei. Ein persönliches Büro stehe ihm zur Verfügung, würde aber nicht genutzt werden. Selbst Beamte aus der betreffenden Leitungsabteilung gaben innerhalb des Hauses an, dass J. „nicht erreichbar“ wäre.

Keine sichtbaren Arbeitsnachweise des Beamten

Brisant: Im sogenannten Referatsbriefkasten soll sich demnach kein Arbeitsnachweis von J. finden. Keine Mail, keine Weisung. Im internen System „Jabber“ soll es J. schlicht nicht geben. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt ein erfahrener Beamter aus dem Verkehrsministerium zu BILD. „Da steht der Verdacht der Untreue im Raum.“

Fakt ist: Laut Bundesinnenministerium ist die Genehmigung einer Nebentätigkeit bereits dann zu versagen, wenn die Gefahr besteht, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können. „Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Nebentätigkeit die Unparteilichkeit oder Unbefangenheit beeinflussen kann“, heißt es.

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