Krieg in Gaza:Neue Hoffnung auf einen Geisel-Deal

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In Tel Aviv halten die Proteste gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu an. (Foto: Ohad Zwigenberg/AP)

Israel unterbreitet der Hamas das Angebot, einen Angriff auf Rafah aufzuschieben, sofern die Terroristen Gefangene freilassen. Beide Seiten halten den psychologischen Druck hoch.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Rafah-Offensive oder Geisel-Abkommen, weitere Eskalation oder Hoffnung auf Entspannung - der seit fast sieben Monaten andauernde Gaza-Krieg steht wieder an einem Scheideweg. In Israel wurde am Wochenende verkündet, dass die nach längerem Stillstand wieder in Gang gekommenen Verhandlungen die "letzte Chance" seien vor einem Sturm auf die Hamas-Hochburg im südlichen Gazastreifen. Der internationalen Gemeinschaft, die auf ein Ende oder zumindest eine Pause des Kriegs dringt, bleibt wenig anderes, als zu hoffen, dass diese Mischung aus militärischer Drohung und Gesprächsangeboten zum Erfolg führt.

In den Geiselverhandlungen soll Israel neue Flexibilität gezeigt haben. Gespräche mit hochrangigen ägyptischen Vermittlern, die nach Israel gereist waren, werden von beiden Seiten als positiv und konstruktiv beschrieben. An diesem Montag werden Hamas-Vertreter in Kairo erwartet. Im Kern geht es nun um ein begrenztes Abkommen auf humanitärer Basis. Berichten zufolge könnten dabei bis zu 33 israelische Geiseln freikommen - Frauen, Kranke und Männer über 50 Jahre. Im Gegenzug würde eine noch offene Anzahl palästinensischer Häftlingen aus israelischen Gefängnissen entlassen. Die Länge einer Waffenruhe hängt dabei von der Anzahl der freigelassenen Geiseln ab.

Nach israelischer Zählung befinden sich noch 131 Geiseln in Gaza. Offiziell für tot erklärt wurden davon bereits 34. Inoffiziell wird davon ausgegangen, dass eine weit höhere Anzahl inzwischen nicht mehr am Leben ist. In früheren Verhandlungsrunden war für die erste Austauschphase stets von 40 freizulassenden Geiseln die Rede gewesen. Die Hamas hatte jedoch zu erkennen gegeben, dass in dieser humanitären Kategorie nicht genügend Lebende zu finden seien.

Die von Israel nun vorgeschlagene Konzentration auf ein solches humanitäres Abkommen klammert die Hauptstreitpunkte aus. Die Hamas hat bislang für die Freilassung aller Geiseln stets ein Ende des Kriegs und einen kompletten Abzug der israelischen Truppen gefordert. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat dies beharrlich als "Wahnidee" abgetan und das Kriegsziel einer kompletten Zerstörung der Hamas bekräftigt.

Die Drohung mit einer unmittelbar bevorstehenden Offensive in Rafah muss nun auch vor dem Hintergrund gesehen werden, den Druck auf die Hamas in den Verhandlungen zu erhöhen. In einem Tunnelversteck in Rafah wird Hamas-Führer Jahia Sinwar vermutet. Es ist davon auszugehen, dass er sich mit israelischen Geiseln als lebenden Schutzschilden umgeben hat. Bekämpft werden sollen in Rafah auch die letzten vier intakten Bataillone der Hamas. Die vermutlich 6000 bis 8000 Kämpfer sind jedoch umgeben von rund 1,3 Millionen Zivilisten, die sich zum Großteil aus anderen Gebieten des Gazastreifens dorthin geflüchtet hatten.

Ein neues Video zeigt zwei Männer, die an ihre Regierung appellieren

Ein direktes Angebot in Richtung Hamas kam nun von Außenminister Israel Katz, der in einem TV-Interview eine Geisel-Freilassung als "höchste Priorität" bezeichnete. Wenn es ein Abkommen gebe, werde Israel die Rafah-Operation aussetzen, versprach er. Katz allerdings kann höchstens für einen Teil der israelischen Führung sprechen. Der rechtsradikale Flügel um Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir erteilt allen Zugeständnissen an die Hamas eine harsche Absage und fordert einen kompromisslosen Militäreinsatz in Rafah.

Auch Premier Netanjahu hat in den vergangenen Monaten wenig Bereitschaft zu Kompromissen erkennen lassen, zumal er bei einem Ende des Kriegs mit einer Neuwahl und dem Machtverlust rechnen muss. Zugleich jedoch steht er unter Druck vom engsten Verbündeten in Washington und Teilen der eigenen Bevölkerung. Um diesen Druck zu vergrößern, hat die Hamas nun wieder zum Mittel der psychologischen Kriegsführung gegriffen.

Am Samstagabend wurde ein neues Video veröffentlicht, in dem zwei männlichen israelische Geiseln verzweifelt an die eigene Regierung appellieren, schnellstens ein Abkommen zu ihrer Freilassung zu schließen. Erwartungsgemäß hat das sogleich die Proteste befeuert, die am Samstag in Tel Aviv, aber auch andernorts wie zum Beispiel vor Netanjahus privater Villa im Küstenort Caesarea stattfanden.

Die internationalen Bemühungen um eine Lösung sollen an diesem Montag in der saudischen Hauptstadt Riad vorangetrieben werden. Dort treffen sich US-Außenminister Antony Blinken und andere westliche Chefdiplomaten wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit Vertretern arabischer Staaten zu Gesprächen über Gaza. Die israelische Armee hat unterdessen ihre Luftangriffe auf den palästinensischen Küstenstreifen wieder intensiviert. So ist die Region gefangen zwischen Hoffen und Bangen.

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