„Tatort“ aus Köln :
Kein Wurstbuden-Krimi

Von Oliver Jungen
Lesezeit: 4 Min.
Knall auf Fall? Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Nicola Koch (Jenny Schily) verstehen sich verdächtig prächtig.
Liebe und Erpressung: Der „Tatort“ aus Köln vertraut diesmal ganz auf innere Wallungen und wird – bis auf ein paar schwache Wendungen – wahrlich davon getragen.

Kann das gut gehen? Als Kommissar, als Straßenbulle – wie das Ermittlerdasein im Kölner „Tatort“ im Fall von Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) seit je interpretiert wird –, Erfüllung in einer romantischen Beziehung finden? Gemeinsam kochen, einander die Schuhe hinterherräumen? Verletzbar werden, erpressbar, abgelenkt bei der Verbrecherjagd von, horribile dictu, Gefühlen? Und kann das gut gehen: eine Krimihandlung kurzschließen mit einem von Bindungsängsten und Hoffnungen handelnden Liebesdrama, das zu guten Teilen im Inneren der Figuren spielt? Die Antwort lautet: Et kütt drop an.

Vor vierundzwanzig Jahren endete die Chose jedenfalls tragisch. In der Folge „Direkt ins Herz“ erlag Ballauf – verzeihlich – dem Augenklimpern von Anja Kling, die eine nicht allzu sehr trauernde Witwe mimte („Wird das ein Verhör?“), die aber doch einiges wusste von Machenschaften, die zum Schuss auf ihren Gatten geführt hatten. Am Ende blieb für Ballauf nichts als Schmerz.

Psychologisch allzu ausgefeilt war das damals nicht; der kompliziert angelegte Krimi-Plot wiederum wirkte haarsträubend konstruiert. Diesmal ist es anders, verspricht die aktuelle Episode schon im Titel, und tatsächlich fällt gleich auf, dass sowohl das Drehbuch des nicht zuletzt für ungewöhnlich sensible „Tatort“-Episoden („Vier Jahre“, „Die Nacht der Kommissare“) bekannten Wolfgang Stauch als auch die starke, teils theaterintensive Inszenierung durch Thorsten C. Fischer das Liebessujet ernst nehmen.

Unglaubhafte Wendungen

Einen eigenen Witz hat das Buch ebenfalls. Freddy Schenk (Dietmar Bär), verheiratet seit dem Pleistozän, auch wenn man seine Frau nie zu Gesicht bekommt, ist genervt vom Wolkengeschwebe des verknallten Kollegen. Dessen Angebetete ist die Herausgeberin des Stadtmagazins „Cologne Alive“; schon das lustig in einer Serie, die stets vom Gegenteil handelt. Schenk ist nicht wild darauf, Nicola (Jenny Schily) kennenzulernen. „Wenn ich mit jeder neuen Freundin von dir essen gegangen wäre, hätte ich längst Übergewicht.“ Ein schlechterer Autor hätte die Komik gekillt durch eine Bemerkung Ballaufs zu Schenks vollschlanker Physiognomie. „Diesmal ist es anders“, repliziert der Liebende hier nur.

Parallel entwickelt sich die Krimihandlung. Es geht um einen unter der Mülheimer Brücke über den Haufen gefahrenen Mann. Der scheint sein Geld nicht ­legal verdient zu haben. Das allerdings wird selbst für „Tatort“-Verhältnisse arg plump erzählt. Hinter einem Spiegel hat das Opfer Geldbündel aufbewahrt, immer schön in Päckchen zu 33.000 Euro. Da fällt Ballauf ein: „Wir hatten neulich in Köln die Erpressung mit der Forderung von 33.000 Euro“.

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Trailer„Tatort: Diesmal ist es anders“

Peng, das ist die Lösung. Und mehr noch: Auf einem Foto, das der Erpresser kurz vor seinem Tod gelöscht hat (also auf Deppenart), erkennt Schenk prompt eine Kölner Schlagersängerin. Das Bild zeigt sie in jungen Jahren als Betreuerin eines Jugendcamps. Inzwischen leitet sie ein Zentrum für traumatisierte Jugendliche. So souverän Leslie Malton die gealterte Sängerin mit schattiger Vergangenheit auch spielt, wirkt es doch so, als erfülle der Film mit diesem ganzen Handlungsstrang, der noch weitere unglaubhafte Wendungen hat, bloß eine leidige Krimi-Pflicht, um schnell wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen.

Fischer lässt den emotional aus der Kurve geflogenen, sich selbst nicht mehr verstehenden Ballauf gern in inneren Monologen sprechen: „Jung. Ist es gut, so jung zu sein? Oder ist es schlecht?“ Aus dem Off offenbart er seine Ängste und Wünsche, zumal dann, wenn sie mit den Erwartungen Nicolas nicht zur Deckung kommen: „Merkst du, dass ich lüge?“

Verzweiflung, Wut und Schuldgefühle

Die antwortet ebenfalls aus dem Off. Was Max wiederum wundert, ist das große Interesse der Freundin an seinem aktuellen Fall. „Man teilt doch miteinander, was man am Tag erlebt hat“, begründet sie es. Das glaubt ihr ein straßengestählter Bulle selbst im hormonellen Ausnahmezustand nicht. Hat Nicola, als Journalistin immerhin gut vernetzt, Kenntnisse über die Hintergründe der Tat? Schenk wiederum vertraut Ballauf seinen Verdacht nicht an, ermittelt lieber im Alleingang.

Großes Augenmerk legen Stauch und Fischer darauf, wie das wachsende Misstrauen die junge Beziehung von Max und Nicola unterhöhlt, wie Max daran leidet, mehr und mehr Dinge herauszufinden, die seine Freundin ihm verschwiegen hat. Gefilmt ist das edel und interessant, oft mit geringer Tiefenschärfe, sodass sich die angeleuchteten Gesichter sehr symbolisch vom verschwommenen, dunklen Hintergrund abheben. Bis hierher ähnelt der Plot freilich dem von „Direkt ins Herz“ und manch anderer Episode.

Dann allerdings spitzt sich das Geschehen dramatisch zu – und der Film findet zu seiner wahren Größe. Die schwach motivierten Ereignisse der ersten Hälfte spielen keine Rolle mehr, denn jetzt geht es, noch viel kammerspielartiger, um einen ganz anderen Fall, aber vor allem um das Durchstehen von Verzweiflung, Wut und Schuldgefühlen. Sichtbar wird eine komplexe Struktur von Loyalitäten und Projektionen. Klaus J. Behrendt kann zeigen, welch ein psychologisch nuancierter Schauspieler er ist, unterfordert allzu oft im Wurstbuden-„Tatort“.

Aber auch die drei anderen Hauptdarsteller halten in dieser Hinsicht mit. Das lange, mehrstufige Finale des Films, das in einer dialogischen Auflösung gipfelt – gut verschleift mit Rückblicken auf das Vorgefallene –, überzeugt durch emotionale Intensität und erzählerische Konsistenz. Ganz ohne abstruse Überraschungen oder Action-Einlagen in letzter Sekunde weiß dieses Finale seine Spannung zu halten. Zumindest auf der ästhetischen Ebene gilt also in der Tat: Diesmal ist es anders.

Der Tatort: „Diesmal ist es anders“ läuft am Sonntag, um 20.15 Uhr, im Ersten.