Die Debatte beim FC Bayern offenbart die große Sehnsucht und die Probleme des Klubs. Sie verdeutlicht, warum es richtig ist, dass die Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Fußball-Rekordmeister und Thomas Tuchel im Sommer endet – trotz der jüngsten Erfolge in der Champions League. Die Auffassungen im Hinblick auf Transfers und die Entwicklung der Mannschaft sind zu unterschiedlich, das Band zwischen Vereinsführung und Trainer zu dünn.
Uli Hoeneß hat mit seinen Äußerungen, Tuchel würde die eigenen Spieler zu wenig entwickeln und stattdessen teure Stars einfordern, nicht nur deutlich gemacht, was er anders sieht als Tuchel. Er hat eine fundamentale Botschaft gesendet, die weit über Tuchels Wirken hinausgeht: Der Klub braucht aus seiner Sicht einen Trainer, der keine fertige Mannschaft und kostspielige Transfers fordert – sondern einen, der mit Kreativität und Mut junge Spieler entwickelt. Und begeisternden Fußball spielen lässt.
Hoeneß und die anderen Klubbosse sind beeindruckt, wie das Xabi Alonso bei Bayer Leverkusen gelang. Der 72-Jährige zeigt, wie sehr er sich für die Zukunft seines Klubs einen Fußball-Lehrer wünscht, der sie verbessert und schützt. Das vermissen sie bei Tuchel, der zum Beispiel Joshua Kimmich und Leon Goretzka mit seinen öffentlichen Äußerungen und seiner Forderung nach einer „Holding Six“ nicht gerade stärkte.
Es geht um viel mehr als um den Zeitpunkt, an dem die Debatte aufkommt, wenige Tage vor dem Halbfinal-Hinspiel der Königsklasse gegen Real Madrid. Darauf nimmt Hoeneß keine Rücksicht – weil ihm seine Message so wichtig ist. Er sieht seine Aussage nicht als Angriff auf den Trainer, sondern als offenes Benennen der unterschiedlichen Einstellungen, das erlaubt sein muss, egal wann. Es ist auch ein Legitimieren der Entscheidung des Klubs, sich trotz der Chance auf den Triumph in der Königsklasse im Sommer von Tuchel zu trennen.
Dass Tuchel sich in seiner Ehre verletzt fühlt, ist verständlich. Hoeneß geht es um die Sache. Mittelfeldprofi Aleksandar Pavlovic entwickelte sich unter Tuchel zum Nationalspieler. Doch dies ergab sich auch daraus, dass Tuchel seine Transferwünsche nicht erfüllt bekam. Tuchel verweist zu Recht darauf, dass er in seiner Trainerkarriere immer junge Spieler entwickelt hat. Hoeneß bezieht sich ausschließlich auf die 13 Tuchel-Monate bei den Bayern.
Tuchel wollte Declan Rice statt Aleksandar Pavlovic
Vor der Saison hatte der Trainer auf einen Zugang wie Declan Rice und Joao Palinha für das defensive Mittelfeld gedrängt. Damals forderte bereits Vorstandschef Jan-Christian Dreesen Kreativität und betonte, wie gut der Kader sei.
Nicht ohne Grund erwähnt Hoeneß in dieser Saison immer mal wieder Louis van Gaal. Dieser hatte zu Beginn seiner Zeit als Trainer bei den Bayern den Offensivstar Franck Ribéry verkaufen wollen. Dann entwickelten der Niederländer viele Spieler und machte aus Talenten Stars: Thomas Müller, David Alaba, Holger Badstuber sind Beispiele. Hoeneß wünscht sich also offensichtlich, dass Trainer und Führung beim FC Bayern bei ihren Vorstellungen wieder mehr auf einen Nenner kommen, gerade in Bezug auf Personalpolitik und Philosophie.
Der Wunsch von Uli Hoeneß ist verständlich. In Harry Kane haben die Bayern in der Zeit unter Tuchel einen Mega-Transfer getätigt, rund hundert Millionen Euro für den Stürmer-Superstar ausgegeben. Der Klub braucht künftig die richtige Mischung aus Toptransfers vor jeder Saison und jungen Spielern mit Perspektive.
Ralf Rangnick ist für die Klubbosse in der Suche nach einem Tuchel-Nachfolger nach den Absagen Alonsos und Julian Nagelsmanns alles andere als eine dritte Wahl. Abschrecken dürfte den erfahrenen Rangnick – seit Jahrzehnten Profitrainer mit internationalen Stationen – die aktuellen Aussagen des Ehrenpräsidenten nicht. Dass Hoeneß mächtig ist und seine Meinung auch öffentlich deutlich macht, weiß der Nationaltrainer Österreichs ohnehin. Auf die Trainersuche dürften die Äußerungen von Hoeneß keinen Einfluss haben.
Ob es Rangnick wird oder ein anderer, das wird sich wohl in den kommenden Tagen entscheiden. Wer auch immer im Sommer den Trainerposten beim FC Bayern antreten wird – er weiß seit diesem Wochenende ganz klar, was von ihm erwartet wird. Und welche Fehler er in München besser nicht begehen sollte.