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  4. Boris Rhein: „Bündnis von CDU/CSU und SPD wäre ein echtes Aufbruchssignal“

Deutschland Hessens Regierungschef Rhein

„Wohl noch nie eine so tiefe Verzweiflung der Wähler über Politik einer Bundesregierung“

Nach Macrons Vorstoß – Boris Rhein plädiert für „eine Art atomaren Iron Dome“ der EU

Frankreichs Präsident Macron fordert eine Debatte, „die Raketenabwehr, Langstreckenkapazitäten und Atomwaffen“ zur europäischen Verteidigung umfassen muss. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) plädiert für „eine Art atomaren Iron Dome“. CDU-Chef Merz fordert die Ampel auf, zu reagieren.

Quelle: WELT TV

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Für Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) steht fest: Schwarz-Rot nach der Bundestagswahl 2025 wäre die Lösung, um das „Ampel-Chaos“ hinter sich zu lassen. Für dieses macht er vor allem die Grünen verantwortlich. Mit Blick auf Russland hält er einen europäischen Atomwaffenschutzschild für nötig.

Boris Rhein ist seit Ende Mai 2022 Ministerpräsident von Hessen. Zuvor hatte er mehrere Ministerämter in der Landesregierung inne. Der 52-Jährige ist Vorsitzender der Landes-CDU.

WELT: Herr Rhein, derzeit käme die Union bei der Bundestagswahl auf fast so viele Stimmen wie die drei Ampel-Parteien zusammen. Was überwiegt bei Ihnen: Freude darüber oder die Sorge, dass das der Beleg für ein dramatisch schwindendes Vertrauen in die Politik ist?

Boris Rhein: Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Dass die Sozialdemokraten in Umfragen momentan nur noch auf 15 Prozent kommen, halte ich für ein Alarmsignal. Wir sprechen hier immerhin von der traditionsreichen Volkspartei SPD, der nur noch jeder Siebte in Deutschland seine Stimme geben will. Und wohl noch nie gab es eine so tiefe Verzweiflung der Wählerinnen und Wähler über die Politik einer Bundesregierung.

Andererseits macht die Ampel-Koalition einfach eine völlig fehlgeleitete Politik ohne Antwort auf die zentralen Fragen unserer Zeit, weil die drei Partner zu unterschiedlich sind. Wenn wir mit dieser Stärke im Bund eine schwarz-rote Koalition bilden können wie wir in Hessen, dann wäre endlich dieses Ampel-Chaos vorbei.

WELT: Das ist eine deutliche Absage an die Grünen, mit denen Sie zehn Jahre lang harmonisch regiert haben.

Rhein: Die Grünen werden immer mehr zu einem Ausschlusskriterium für eine Realpolitik, die für die Menschen funktioniert. Das hat das endlose Gezerre um die Bezahlkarte gezeigt, aber auch das Gerangel um die sicheren Herkunftsländer, das Wirtschaftspaket und die Cannabis-Legalisierung. Ein christlich-soziales Bündnis von CDU/CSU und SPD wäre ein echtes Aufbruchssignal.

Grünen-Urgestein Hubert Kleinert

WELT: Aber was, wenn es für Union und SPD allein nicht reicht?

Rhein: Dann könnte man zum Beispiel die FDP mit an Bord nehmen und eine Deutschland-Koalition schmieden. Ich glaube aber, dass die CDU bei der Bundestagswahl noch besser abschneiden wird als derzeit in den Umfragen.

WELT: Woher nehmen Sie den Optimismus?

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Rhein: In Hessen lag unser Ergebnis bei der Landtagswahl am 8. Oktober deutlich über den Prognosen. Am Ende entscheiden sich die Menschen für Stabilität und Stil und damit für die Union als starke Kraft der Mitte. Die hessische Landtagswahl war zugleich eine klare Absage an die derzeitige Politik der Grünen, an Heizungsgesetz, Bevormundungen und Verbotspolitik. Wer in so einer Lage trotzdem mit den Grünen koaliert, enttäuscht seine Wähler.

Deshalb haben wir uns für ein Bündnis mit der SPD entschieden – und für eine Renaissance der Realpolitik. Wir lösen damit die Probleme, die die Menschen wirklich beschäftigen, zum Beispiel bei der Sicherheit, beim Wohnen, bei der Begrenzung der Migration und für neue Wirtschaftskraft.

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WELT: Aber vor der letzten Bundestagswahl war die GroKo-Müdigkeit sehr ausgeprägt, nicht nur in der Bevölkerung, sondern bei der Union und der SPD. Wie wollen Sie die gegenseitige Antipathie überwinden?

Rhein: Die große Koalition 2017 kam unter anderen Vorzeichen zustande. Es gab keine Aufbruchsstimmung. Sie erinnern sich: Der Versuch eines Jamaika-Bündnisses war gescheitert, daher verpflichtete der Bundespräsident die SPD aus Gründen der Staatsräson, diese Koalition einzugehen. Außerdem waren die Kräfteverhältnisse andere. Unter einer sehr klaren Führung einer starken Union würde eine solche Koalition ganz anders funktionieren.

WELT: Und Sie glauben, dass die SPD-Spitze da mitziehen würde?

Rhein: Sollte die Bundestagswahl ähnlich ausgehen, wie es zurzeit die Umfragen zeigen, wird es sicherlich einen großen Austausch der Führungsmannschaft bei der SPD geben.

WELT: Welche Rolle könnten Sie sich bundespolitisch vorstellen? CDU-Urgestein Bernhard Vogel nennt Sie einen möglichen Kanzlerkandidaten.

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Rhein: Mein Platz ist hier in Hessen. Ich habe den Hessinnen und Hessen vor der Landtagswahl die Zusage gemacht, das Land zu führen, und diese Zusage möchte ich auch einhalten. Gleichzeitig vertreten wir natürlich unsere hessischen Interessen sehr klar im Bund.

WELT: Ein zentrales Thema der Union ist die Verteidigung. Verteidigungsminister Pistorius (SPD) will die Bundeswehr „jederzeit einsatz- und kampffähig machen“. Was wäre dafür nötig?

Rhein: Eine Bundeswehr kann kein Friedensversprechen geben – aber ein Verteidigungsversprechen für Deutschland. Wichtig ist, dass der zuständige Minister dabei kein Einzelkämpfer bleibt. Boris Pistorius braucht Unterstützung von der gesamten Bundesregierung und von seiner Bundestagsfraktion. Das kann ich in der Ampel-Koalition nicht erkennen. Von einem strategischen Paradigmenwechsel, den der Bundeskanzler in seiner zurecht viel beachteten Zeitenwende-Rede angekündigt hat, sind wir weit entfernt.

Kein Rückhalt der SPD

Wir brauchen eine Verteidigungsoffensive: mehr Investitionen in die Bundeswehr, auch über das 100-Milliarden-Sondervermögen hinaus, eine schnellere Beschaffung von Ausrüstung, den Aufbau einer schlagkräftigen Truppe, die fest in der Gesellschaft verankert und gut sichtbar ist. Nötig ist auch die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrates. Außerdem muss der Verteidigungshaushalt stufenweise wachsen. Das fest zugesagte Zwei-Prozent-Ziel erreichen wir derzeit nur, indem wir mit einem Buchungstrick das Sondervermögen hinzurechnen.

WELT: Reichen zwei Prozent überhaupt angesichts der Bedrohung durch Russland?

Rhein: Das wichtigste Ziel ist die Verteidigung der Ukraine und die militärische Niederlage Russlands. Dafür müssen wir alles tun, ob wir das nun mit zwei Prozent erreichen oder mit einer anderen Zahl. Wir werden das freie Europa, so wie wir es kennen, bei einem Sieg des Kriegsverbrechers Wladimir Putin nicht wiedererkennen. Wir brauchen deshalb bei der Verteidigung endlich eine echte Zeitenwende statt weiterer Zeitverschwendung bei den dringenden Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit.

WELT: Sollte man die Schuldenbremse lockern, um genug Mittel für die nötigen Verteidigungsausgaben zu haben?

Rhein: Ich bin ein erklärter Anhänger der Schuldenbremse.

WELT: Welche Unterstützung bräuchte die Ukraine, um den Angriffen Russlands standhalten zu können?

Rhein: Munition, Kampfpanzer, strategische Waffen wie die Taurus-Marschflugkörper, das ganze Arsenal.

WELT: Das ganze Arsenal? Viele Deutsche sorgen sich, dass eine grenzenlose Unterstützung der Ukraine den Westen zur Kriegspartei machen könnte. Olaf Scholz inszeniert sich gerade ganz geschickt als Friedenskanzler, der eine Eskalation verhindert.

Rhein: Friedenskanzler, das kennen wir von Gerhard Schröder …

WELT: … der damit eine Bundestagswahl gewonnen hat, weil das den Nerv der Menschen traf.

Ein Abend mit dem Altkanzler

Rhein: Ich kenne die Sorge vieler Deutscher, und ich nehme sie sehr ernst. Niemand will Krieg, niemand will, dass der Krieg auf weitere Länder übergreift. Aber uns allen muss klar sein: Wenn Wladimir Putin den Krieg gewinnt, gibt es nicht weniger, sondern mehr Krieg. Wenn die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnt, fühlt sich Wladimir Putin gestärkt. Dann wird er das nächste Land angreifen. Die baltischen Staaten. Polen. Dann stehen wir vor einer Eskalation. Das können wir nur verhindern, wenn Russland jetzt gestoppt wird – mit allem, was wird an Unterstützung für die Ukraine tun können.

WELT: Ist das noch möglich, wenn Donald Trump im November die US-Präsidentenwahl gewinnt?

Rhein: Jetzt warten wir erst mal die Wahl ab. Klar ist: Ein Sieg von Donald Trump würde eine gemeinsame Unterstützung der Ukraine durch den Westen nicht leichter machen. Aber ich glaube, es wird genug Berater geben, die Trump erklären, dass eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs, eine Destabilisierung Europas und eine massive Stärkung Russlands auch dem amerikanischen Interesse widersprechen.

Was aber auch stimmt: Wir Europäer werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Amerikaner nicht dauerhaft für uns die Kohlen aus dem Feuer holen. Wir müssen deshalb anfangen, eigene, ausreichend abschreckende Verteidigungssysteme aufzubauen, ohne ständig in Richtung USA zu schielen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Deutschland die Hand gereicht, auch was eine atomare Verteidigung betrifft. Ich verstehe nicht, warum der Kanzler diese ausgestreckte Hand bis heute nicht ergriffen hat.

WELT: Brauchen wir einen europäischen Atomwaffenschutzschild?

Rhein: Ich denke, dass daran letztlich kein Weg vorbeiführt. Europa braucht eine Art atomaren Iron Dome.

WELT: Mit gleichwertigen Partnern neben den bisherigen Nuklearnationen Frankreich und Großbritannien – also mit Deutschland als Atommacht?

Rhein: Wir brauchen eine neue Politik der Abschreckung und eine breite Debatte über einen eigenständigen europäischen Nuklearschirm. Ziel muss es dabei sein, die Rolle Europas innerhalb der Nato zu stärken. Wir haben seit dem russischen Angriff auf die Ukraine eine völlige neue Situation, eine ganz konkrete Bedrohungslage. Darauf müssen wir mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen reagieren, unter anderem auch mit einer Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für alle Deutschen.

WELT: Dienstpflicht oder Wehrpflicht?

Rhein: Dienstpflicht. Die könnte von manchen dann natürlich auch beim Militär geleistet werden. Zur allgemeinen Wehrpflicht zurückzukehren, würde die Bundeswehr derzeit überfordern. Dafür reichen Ausbildungspersonal, Liegenschaften und Material nicht aus.

WELT: Die Union attackiert die Bundesregierung auch für ihre Wirtschaftspolitik. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr nur um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zunehmen. Damit ist Deutschland Schlusslicht unter den großen Industrienationen. Wie sollte gegengesteuert werden?

Rhein: Deutschland braucht ein Konjunkturpaket und kein Cannabis. Christian Lindners Plan für eine Wirtschaftswende enthält viele richtige Punkte, die wir als Union schon lange fordern. Aber von einer Einigung auf ein Wirtschaftskonzept für neues Wachstum ist die Ampel meilenweit entfernt.

Wir als Union wollen zum Beispiel eine Aktivrente und damit längeres Arbeiten genauso steuerlich begünstigen wie Überstunden. Außerdem müssen die Sanktionen gegen all jene Bürgergeld-Bezieher verschärft werden, die eine Mitwirkung und jede Arbeitsaufnahme ablehnen. Wir müssen Arbeit fördern und nicht Arbeitslosigkeit.

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WELT: Die Zahl der Totalverweigerer ist angeblich nicht besonders groß.

Rhein: Es spielt keine Rolle, ob es 30.000 oder 300.000 sind, es geht um die Signalwirkung. Es geht um Gerechtigkeit: Leistung muss sich lohnen, nicht das Verweigern von Leistung. Wir brauchen einen neuen Respekt vor Leistung – vor Arbeitsleistung, Lebensleistung, unternehmerischer Leistung.

WELT: Und das soll dazu beitragen, dass die Konjunktur wieder anspringt und die Wirtschaft wächst?

Rhein: Wir haben viele weitere Maßnahmen vorgeschlagen. Wir brauchen eine Unternehmensteuer-Reform, der Soli für Unternehmen muss abgeschafft und die Stromsteuer dauerhaft auf das von der EU festgesetzte Minimum gesenkt werden. Außerdem brauchen wir endlich die von der Ampel im Koalitionsvertrag versprochenen Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer. Bis die Freibeträge kommen, zahlen wir in Hessen ein „Hessengeld“ für diejenigen aus, die sich den Traum von den ersten eigenen vier Wänden verwirklichen wollen. Das hilft Familien und stabilisiert die Bauwirtschaft.

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WELT: Und wie wird all das finanziert, wenn die Schuldenbremse unangetastet bleibt?

Rhein: Durch die richtige Prioritätensetzung im Haushalt: weniger Geld für Sozial- und Transferleistung, mehr Geld für Zukunftsinvestitionen und die Ankurbelung der Wirtschaft.

WELT: Die Union fordert ein Konjunkturpaket, hatte aber das Wachstumschancengesetz der Ampel-Koalition blockiert. Wie passt das zusammen?

Rhein: Wir haben es nicht blockiert, wir wollten aus unserer Sicht nötige Änderungen. Das Paket der Ampel wäre auf Kosten der Landwirte geschnürt worden. Davon abgesehen ist es viel zu klein ausgefallen und eher ein Päckchen.

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