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Vertrackte Verhandlungen 194 WHO-Mitglieder wollen internationales Pandemieabkommen retten

Lockdowns, knappe Impfstoffe und zusammengebrochene Lieferketten – mit einem Pandemieabkommen will die Weltgemeinschaft Fehler aus der Coronapandemie künftig vermeiden. Woran haken die Verhandlungen?
In Berlin ist im November 2020 ein Restaurant während eines Semi-Lockdowns geschlossen

In Berlin ist im November 2020 ein Restaurant während eines Semi-Lockdowns geschlossen

Foto: Getty Images

Die Coronapandemie hat das Leben der Menschen weltweit auf den Kopf gestellt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und deren 194 Mitgliedsländer wollen mit einem neuen internationalen Abkommen für mögliche zukünftige Pandemien besser gewappnet sein. Doch das geplante Pandemieabkommen steht auf der Kippe. Die Verhandlungen am Montag in Genf gelten als letzter Versuch für eine Einigung. Worum es bei dem geplanten Pandemieabkommen geht.

Was soll das Abkommen genau regeln?

Die Forderungen an das Abkommen sind umfangreich:

  • Es sollen mehr Impfstoffe für die Verteilung in armen Ländern reserviert werden.

  • Die Produktion von Impfstoffen soll ungeachtet von Patentregeln weltweit schnellstens angekurbelt werden können.

  • Pharmafirmen sollen bei staatlicher Forschungsunterstützung einen Teil ihrer Produktion günstig abgeben.

  • Ein globales Lieferketten- und Logistiknetzwerk soll sicherstellen, dass jedes Land bekommt, was es braucht.

  • Verträge über Material und Impfstoffe sollen offengelegt werden, damit nicht der höchste Bieter das meiste bekommt.

Welche Probleme gab es während der Coronapandemie?

Während der Coronapandemie wurden weltweit Fehler gemacht. China etwa hat spät über das Virus informiert, manche Länder haben im Alleingang Reisebeschränkungen und Eindämmungsmaßnahmen beschlossen. Lieferketten brachen zusammen, Regierungen machten sich Maskenpakete streitig. Auch die Bundesregierung verhängte für zwei Wochen einen Exportstopp für Schutzausrüstung. Als es endlich Impfstoff gab, rissen sich reiche Länder den Großteil unter den Nagel.

Während vielerorts schon die zweite oder dritte Schutzimpfung verabreicht wurde, warteten ärmere Länder noch auf die erste Lieferung. Auch Indien, wo viel Impfstoff zum Export produziert wurde, erließ wegen eigener hoher Infektionszahlen plötzlich einen Exportstopp. Das alles sollte sich nicht wiederholen, das war die Ursprungsidee für das Abkommen.

Wie laufen die Verhandlungen?

Ende März waren die Fronten bei den Verhandlungen verhärtet. Deshalb liegt jetzt ein neuer Entwurf auf dem Tisch, der um ein Drittel auf 23 Seiten gekürzt wurde. Besonders umstrittene Details sollen nun erst im Lauf des Jahres geklärt werden. Organisationen und manche Länder protestieren, weil für sie wichtige Bestimmungen unter den Tisch gefallen sind. »Es wird schwierig«, sagte ein Verhandler in Genf. »Pessimismus ist eine Verhandlungstaktik, die sich die Welt echt nicht leisten kann«, sagte Michelle Childs von der Organisation Drugs for Neglected Diseases Initiative, die sich für Chancengleichheit für ärmere Länder einsetzt. Das Abkommen soll bei der WHO-Jahrestagung Ende Mai respektive Anfang Juni in Genf verabschiedet werden.

Wo hakt es?

Umstritten ist, ob und wie die Pharmaindustrie verpflichtet werden soll, Patente freizugeben und Know-how zur Herstellung von Impfstoff und Medikamenten mit anderen zu teilen. Der Pharmaverband IFPMA will nur freiwillige Vereinbarungen. Ärmere Länder wollen sich nicht zu Pandemievorsorge mit Investitionen verpflichten, wenn nicht klar ist, wie sie finanziell unterstützt werden.

Es wird diskutiert, wie viel Diagnostika, Medikamente und Impfstoffe gratis oder günstig zur Verteilung in armen Ländern abgegeben werden sollen. Weil China internationalen Expertinnen und Experten auf der Suche nach dem Ursprung des Virus monatelang die Einreise verweigerte, wollten manche Länder eine Regelung, die so etwas künftig verhindert.

Welche Rolle soll die WHO in künftigen Pandemien spielen?

Das Abkommen tritt nur in den Ländern in Kraft, deren Parlamente es ratifizieren. Regierungen würden damit zwar Verpflichtungen eingehen, aber es gibt keine Sanktionen. Wahrscheinlich müssen Länder sich nur gegenseitig regelmäßig Bericht erstatten, was auf diese Weise Druck aufbauen soll. Explizit steht im jüngsten Entwurf, dass nichts in dem Abkommen so interpretiert werden dürfe, dass die WHO die Macht erhält, Ländern Lockdowns, Impfungen oder Reisebeschränkungen vorzuschreiben. Das Bundesgesundheitsministerium schrieb auf eine kritische Petition im September 2023 hin: »Durch den Pandemie-Vertrag der WHO werden weder die Grundrechte noch die Menschenrechte eingeschränkt.«

Geht es bei dem Abkommen vor allem um Gerechtigkeit für ärmere Länder?

Das Pandemieabkommen soll Menschen weltweit helfen. Wenn eine Pandemie in allen Ländern besser gemanagt wird, kann sich ein Virus im besten Fall nicht so stark ausbreiten. Dann wären nicht so drastische Einschränkungen nötig wie in der Coronapandemie. Zudem soll die WHO ein Lieferketten-Netzwerk aufbauen, damit im Pandemiefall alle Länder das Material schnell bekommen, das sie benötigen, und nirgends Schutzausrüstung knapp wird.

kim/dpa