Berlin Adlershof :
Ein Hauch von Silicon Valley

Von Stefan Paravicini, Berlin
Lesezeit: 5 Min.
Berlin Adlershof: Standort für Technologie und Wissenschaft
Berlin Adlershof ist der größte Technologie- und Wissenschaftspark in Deutschland. Mehr als 1300 Unternehmen und 18 Forschungsinstitute mit rund 28.000 Beschäftigten haben sich hier angesiedelt. Der Fachkräftemangel droht aber auch hier zum Wachstumshemmnis zu werden.

Der Erfolg verleitet manchmal zum Vergleich mit großen Vorbildern. „Adlershof ist das Berliner Silicon Valley“, sagt die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey über Deutschlands größten Wissenschafts- und Technologiepark im Südosten von Berlin. Erst in der vergangenen Woche konnte sie sich auf einer Reise an die Westküste der USA ein Bild vom Original machen. Für alle, denen die Paralleln zwischen dem Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Adlershof und der San Francisco Bay Area nicht auf den ersten Blick auffallen, hat die SPD-Politikerin einen Rat von ihrer Reise mitgebracht. „Was wir wirklich vom Silicon Valley lernen können, ist, dass wir positiver über die eigenen Erfolge reden“, sagte Giffey bei der Vorstellung der Zahlen zur jüngsten Entwicklung der 1330 in Adlershof angesiedelten Unternehmen und 18 wissenschaftlichen Einrichtungen, die hier zu Hause sind.

„Das Prinzip des Technologieparks funktioniert“, sagt Roland Sillmann, Geschäftsführer der Wista Management GmbH, die im Auftrag des Landes Berlin das Standortmarketing in Adlershof verantwortet und einmal im Jahr die Unternehmen vor Ort zur wirtschaftlichen Entwicklung befragt. Demnach ist die Dynamik auf dem knapp fünf Quadratkilo­meter großen Wirtschafts- und Wissen­schafts­standort trotz Stagnation in der Gesamtwirtschaft ungebrochen. Fast 80 Unternehmen haben sich im vergangenen Jahr neu angesiedelt oder ihre Aktivitäten in Adlershof erweitert.

Die Umsätze und Haushaltsmittel der Unternehmen und der wissenschaftlichen Institute am Standort sind im vergangenen Jahr um mehr als sieben Prozent auf 3,9 Milliarden Euro gewachsen. Das ist zwar weniger als das durchschnittliche Wachstum seit 2015, das in Adlershof bei mehr als neun Prozent lag. Im Vergleich mit der Entwicklung der Wirtschaftsleistung von Berlin und erst recht verglichen mit dem gesamtdeutschen Wachstum hat Adlershof aber wieder kräftig zugelegt.

Träumen von Kalifornien: Wista-Geschäftsführer Roland Sillmann (links), Franziska Giffey und Mathias Richter von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt
Träumen von Kalifornien: Wista-Geschäftsführer Roland Sillmann (links), Franziska Giffey und Mathias Richter von der Physikalisch-Technischen BundesanstaltImago

590 Adressen für Hochtechnologie

Im sogenannten Kerngebiet, das räumlich die ehemals von der Akademie der Wissenschaften der DDR genutzten Flächen umfasst und etwa 590 Unternehmen auf dem Feld der Hochtechnologie einschließt, kletterten die Umsätze um zehn Prozent auf gut 1,2 Milliarden Euro inklusive Fördermittel. Wenn es im Südosten Berlins so etwas wie das Silicon Valley gibt, hält es hier im Kerngebiet von Adlershof dem Vergleich mit dem Original am ehesten stand. Das liegt auch an elf außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit 2900 Beschäftigten sowie den sieben Instituten der Humboldt-Universität mit weiteren 1100 Beschäftigen und mehr als 6000 Studenten, die hier angesiedelt sind.

Die Zahl der Beschäftigten bei den Unternehmen im Kerngebiet kletterte um drei Prozent auf 9400. „Die Firmen, die den Kern ausmachen und besonders nah an der Wissenschaft agieren, sind sogar um 13 Prozent gewachsen“, sagt Sillmann. Die Zahl der Beschäftigten legte hier um sechs Prozent zu.

Weniger dynamisch entwickelte sich zuletzt das sogenannte Wachstumsgebiet in Adlershof. Die Umsätze und Haushaltsmittel der 510 Unternehmen und Ein­richtungen stiegen im vergangenen Jahr aber immer noch um etwas mehr als sechs Prozent auf knapp 1,8 Milliarden Euro, inklusive Fördermittel. Hier finden sich neben gewerblichen Unternehmen auch Geschäfte, Hotels und Restaurants, die von der Dynamik in Adlershof pro­fitieren. Die Zahl der Beschäftigten sank dennoch um ein Prozent auf 11.300.

Schlechter lief es in der ebenfalls zum Adlershof zählenden Medienstadt auf dem ehemaligen Areal des DDR-Fern­sehens Deutscher Fernsehfunk. Im vergangenen Jahr kam der Umsatz der 230 Unternehmen in der Medienstadt nur noch um etwas mehr als ein Prozent auf 462 Millionen Euro voran. Die Zahl der Beschäftigten sank um acht Prozent auf 3300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Umsatz und Beschäftigung verdoppelt

„Umsatz und Beschäftigung in Adlershof haben sich seit 2015 mehr als verdoppelt und sind auch in Krisenzeiten kontinuierlich gewachsen“, fasst Sillmann die Entwicklung der vergangenen Jahre zusammen. Für den laufenden Turnus sind die Unternehmen am Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort ebenfalls zuversichtlich. Mehr als zwei Fünftel erwarten abermals einen Umsatzanstieg, während sich noch einmal so viel immerhin gleichbleibende Umsätze zutrauen. Nur 14 Prozent der Unternehmen in Adlershof rechnen für 2024 demnach mit einem Umsatzrückgang. „Diese Zuversicht ist ein Faktor für den Erfolg, den wir in Adlershof haben“, sagt Sillmann.

Als Wachstumshemmnis nennen die Unternehmen am häufigsten den Zugang zu Fachkräften. Mit etwas mehr als einem Fünftel machen sich in Adlershof im Vergleich zur Gesamtwirtschaft allerdings noch verhältnismäßig wenige Firmen über den Fachkräftemangel Sorgen. Mit weitem Abstand folgen die allgemeine Kostenentwicklung und das politische Um­feld. „Wir müssen es schaffen, ein Ort zu sein, der attraktiv ist für Talente aus der ganzen Welt“, sagt Sillmann. Dafür müsse Berlin sein Image als tolerante und weltoffene Stadt erhalten.

„Berlins Markenkern ist die Freiheit“, pflichtet Giffey bei. Sie sehe deshalb mit Sorge auf die Entwicklungen um Berlin herum und auf die anstehende Landtagswahl in Brandenburg. „Das ist Gift für die Metropol­region Berlin Brandenburg“, sagt die Wirtschaftssenatorin zu den Folgen eines möglichen Wahlerfolgs der AfD.

Internationaler Forschungsstandort

„Adlershof ist ein attraktiver Standort für Menschen aus der ganzen Welt“, sagt Mathias Richter, Leiter des Adlershofer Standorts der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), die als nationales Metrologieinstitut die oberste Instanz bei allen Fragen des richtigen und zuverläs­sigen Messens ist. Im vergangenen Jahr hätten 538 internationale Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in langfristigen Projekten in Adlershof geforscht. „Sie alle kommen, um in den 18 Forschungseinrichtungen Themen der Zukunft und Nachhaltigkeit zu erforschen“, sagt Richter, der Mitglied des Vorstands der Initiativgemeinschaft Au­ßeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Adlershof (IGAFA) ist. Sowohl für das Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie als auch für das Ferdinand-Braun-Institut sei es zuletzt gelungen, Institutsleitungen mit internationalem Hintergrund für Adlershof zu gewinnen.

„Aber nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte“, sagt der Physiker und verweist auf Schwierigkeiten bei der Aner­kennung von internationalen Abschlüssen, die Herausforderungen für Expats ohne Deutschkenntnisse mit der Bürokratie und die Selbstverständlichkeit, mit der an anderen Standorten Menschen aus der ganzen Welt studieren, forschen und miteinander arbeiten. „Da ist man auf dem Campus in Stanford zwei oder drei Schritte weiter als in Adlershof“, sagt Richter, gestützt auf eigene Forschungsaufenthalte im Silicon Valley.

Mobilität und Wohnen als Herausforderung

Bei zwei anderen Standortfaktoren, die für die Anwerbung von Talenten ebenfalls von Bedeutung sind, hat Berlin in den vergangenen Jahren unfreiwillig zu Kalifornien aufgeschlossen. Zwar sind die Mieten in Adlershof immer noch deutlich niedriger als in der Bay Area, der Mangel an Wohnraum in der Hauptstadt treibt viele Mitarbeiter aber auch hier ins Umland. Der öffentliche Nahverkehr ist in Berlin und Brandenburg zwar besser ausgebaut als im Süden von Kalifornien, die Staus auf dem Berliner Ring erinnern manchmal aber an den täglichen Kollaps auf den notorisch verstopften Verkehrsadern des Silicon Valley.

Um der Engpässe bei Wohnraum und Mobilität Herr zu werden, wurden in Adlershof in den vergangenen Jahren neuer Wohnraum und neue Anbindungen an den öffentlichen Nahverkehr geschaffen. Außerdem denkt man über die Entwicklung von Innovationskorridoren nach, die weit über die Stadtgrenzen hinaus gehen. Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne für einen Korridor, der bis nach Cottbus reichen und Adlershof mit dem geplanten Lausitz Science Park verbinden soll. Die Entfernung zwischen den beiden Standorten von etwas mehr als hundert Kilometer Luftlinie entspricht ungefähr der Länge des Silicon Valley.