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Politischer Milliardenplan "Operation Beethoven" soll ASML in den Niederlanden halten

Wegen der zunehmend rechtspopulistischen Politik in den Niederlanden drohte ASML-Chef Peter Wennink offen mit Abwanderung. Im Geheimen arbeitete die Regierung an einem Halteplan – und will nun Milliarden investieren.
"Seien Sie auf der Hut": ASML-Chef Peter Wennink

"Seien Sie auf der Hut": ASML-Chef Peter Wennink

Foto: PIROSCHKA VAN DE WOUW / REUTERS

Die Worte des scheidenden ASML-Chefs Peter Wennink (66) waren deutlich. Vor wenigen Wochen beschwerte sich der Vorstandsvorsitzende von Europas wertvollstem Techkonzern über die zunehmend rechte Politik in den Niederlanden. Immer neue Hindernisse in der Einwanderungspolitik würden es Unternehmen wie ASML schwer machen, die notwendigen Fachkräfte ins Land zu locken. Und er drohte offen mit Abwanderung. „Wenn wir diese Leute hier nicht bekommen können, werden wir an einen Ort ziehen, an dem wir wachsen können“, sagte Wennink. „Seien Sie auf der Hut, denn bald werden Sie genau das bekommen, wonach Sie fragen.“

In der noch amtierenden niederländischen Regierung unter Mark Rutte (56) hat das für Alarmstimmung gesorgt. ASML ist mit einem Börsenwert von rund 360 Milliarden Euro hinter dem Luxusgigant LVMH (Frankreich) und Pharmahersteller Novo Nordisk (Dänemark) der aktuell drittwertvollste Konzern des Kontinents. Rutte erklärte die ASML-Drohung zur Chefsache – und im Hintergrund lief die „Operation Beethoven“ an.

Nach einer Kabinettssitzung an diesem Donnerstag stellte die Regierung nun erste, milliardenschwere Pläne vor, um den hochprofitablen Hersteller von Spezialmaschinen für die Chipindustrie davon abzuhalten, seinen Betrieb ins Ausland zu verlagern. Man sei zuversichtlich, dass ASML weiter investieren und den Hauptsitz in den Niederlanden behalten werde, hieß es in einem offiziellen Statement.

Umstrittene Steuervorteile für Einwanderer

Die Kritik der ASML-Führung an der Politik ist breit, sie reicht von einwanderungsfeindlichen Maßnahmen bis zu ungelösten Infrastrukturproblemen. So hatte sich Konzernchef Wennink, der auf der Hauptversammlung am 24. April von Christophe Fouquet (50) abgelöst wird, unter anderem über die Beendigung einer Steuervergünstigung für qualifizierte Migranten beschwert. In den Niederlanden brauchen Zugezogene fünf Jahre nach der Einwanderung 30 Prozent ihres Einkommens nicht versteuern. Nachdem die Spanne 2018 schon um drei Jahre reduziert worden war, gilt der Steuervorteil seit Anfang 2024 nur noch bis zu einer Gehaltsobergrenze von 233.000 Euro; und rechtspopulistische Politiker haben bereits eine weitere Absenkung der Obergrenze vorgeschlagen.

Das trifft ASML. Das Unternehmen sucht schließlich auch nach hoch qualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren, deren Einkommen durchaus über der Grenze liegen kann.

Ein weiterer Kritikpunkt der ASML-Führung: Die Regierung habe es versäumt, angemessen in die Verbesserung der Infrastruktur im boomenden Techstandort Eindhoven zu investieren, wo das Unternehmen seinen Sitz hat.

In „Operation Beethoven“ wurde nun ein Maßnahmenpaket entwickelt. Die Regierung wird demnach 2,5 Milliarden Euro in die Region Eindhoven investieren. Das Geld soll in Wohnungsbau, Bildung, Verkehrsinfrastruktur und Stromnetze fließen. Ob der Plan auch die Steuervergünstigung für qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland betrifft, blieb zunächst unklar. Die Regierung sprach in ihren offiziellen Statements nur allgemein von geplanten Steuererleichterungen für Unternehmen.

Politisch herrscht in den Niederlanden aktuell Unsicherheit. Nach Streit über die Migrationspolitik hatte Ministerpräsident Rutte im vergangenen Juli seinen Rücktritt eingereicht – und amtiert seither kommissarisch. Die Wahlen im November hatte der Rechtspopulist Geert Wilders (60) mit seiner PVV gewonnen, er hat jedoch mangels ausreichender Koalitionspartner bislang noch keine neue Regierung bilden können.

Rechtspopulistische Gefahren für den Wohlstand

ASML ist mit der Sorge vor einer zunehmend rechtspopulistischen Politik in dem Land keineswegs allein. Eine Reuters-Umfrage unter niederländischen Spitzenunternehmen in diesem Monat ergab, dass mehr als ein Dutzend Unternehmen eine Verlagerung ihrer Aktivitäten ins Ausland erwägen. Viele beschwerten sich darüber, dass das Parlament nach den großen Zugewinnen der populistischen Parteien bei den Wahlen im vergangenen November politische Maßnahmen durchgesetzt hat, ohne die langfristigen Auswirkungen zu berücksichtigen. Neben einwanderungsfeindlichen Maßnahmen wehren sich die Unternehmen gegen eine neue Steuer auf Aktienrückkäufe, die Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Investitionen und beklagen, dass die Politik zu unberechenbar sei.

Ähnlich Sorgen herrschen auch in Deutschlands Konzernführungen , die vor den volkswirtschaftlichen Folgen eines Erstarkens der AfD warnen. Sollte die AfD ihr politisches Programm in die Tat umsetzen, warnte kürzlich etwa der Branchenverband Bitkom angesichts knapp 150.000 unbesetzter IT-Stellen und der Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften kürzlich, "würde Deutschlands digitale Wirtschaft beschädigt und in ihrer Leistungs- und internationalen Wettbewerbsfähigkeit massiv belastet".

Und Bundesbankpräsident Joachim Nagel (57) warnte vor dem aufkommenden Rechtsextremismus. "Ich appelliere an alle, die Gefahr des Rechtsextremismus nicht auf die leichte Schulter zu nehmen", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Rechtsextremisten schreckten sowohl Investoren als auch Fachkräfte aus dem Ausland ab. "Das bedroht unseren Wohlstand."

Wie viel Erfolg die „Operation Beethoven“ in den Niederlanden langfristig hat, wird sich zeigen. Es hängt wohl auch an den weiteren politischen Entscheidungen. Und prominente Vorbilder für Protestumzüge gibt es in der Geschichte des Landes: So hatten Shell und Unilever nach Änderungen von Steuergesetzen 2018 ihren Hauptsitz nach London verlegt.

lhy/Reuters